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WAZ: Mehr als ein großer Unfall - Kommentar von Ulrich Reitz

Geschrieben am 22-09-2006

Essen (ots) - Tote, Schwerverletzte, großes menschliches Leid.
Nicht durch Terror, womit die Öffentlichkeit wohl betreffs dieser
Dinge als erstes hätte rechnen können, sondern durch die Tücken der
Technik. Wobei sich als größter Risikofaktor einmal mehr nicht die
Technologie selbst entpuppt, sondern der wirkungsmächtigste aller
denkbaren Versagensfaktoren. Er zeigt auf den Erfinder von alledem,
auf den Menschen selbst.

Jenseits der betroffenen Einzelnen, ihrer Angehörigen, ihrer
Kinder, für die diese Katastrophe lebensprägend sein wird - was
bleibt sonst noch festzustellen? Diese Zeilen wurden in Peking
geschrieben, der Bundesverkehrsminister war gerade da, und teilte
gestern Abend mit, er eile nun unverzüglich nach Deutschland zurück.
Fragen nach weiteren Konsequenzen jenseits der menschlichen wollte er
nicht beantworten. Und doch stellen sie sich gerade jetzt - mit aller
Macht.

Die einfache Frage, die Chinesen jetzt stellen, wo der Transrapid
nicht als Touristenattraktion läuft, sondern als Verkehrsmittel
zwischen der Innenstadt von Schanghai und dem Flughafen, lautet: Wenn
nicht einmal die Deutschen, diese Perfektionisten, jene Technologie
Transrapid unfallfrei beherrschen können, wie sollten dann wir, die
Chinesen es tun, wo der öffentliche Verkehr immer noch keine rundweg
geordnete Angelegenheit ist, sondern außerordentlich viel zu tun hat
mit der Bewältigung von Chaos?

In Emsland waren 29 Menschen im Zug - in China wären es hunderte,
tausende gewesen. Eine Prognose liegt auf der Hand: Es werden keine
24 Stunden vergehen, da wird diese Katastrophe auf deutschem Boden
den Rest der Welt beschäftigen. Genau jenen Teil, wo Deutschland als
verlässlicher Technologielieferant, als Garant von Prozess-Sicherheit
einen überaus guten Namen hat. Freitagabend erzählten chinesische
Manager, diese Katastrophe hätte zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt
geschehen können.

Noch gestern hat der deutsche Verkehrsminister angekündigt, den
Transrapid zwischen dem Münchener Flughafen und der bayerischen
Landeshauptstadt durchsetzen zu wollen. Bayern selbst, der
Ministerpräsident an der Spitze, wollte sich mit diesem Stück
Avantgarde vor den Augen aller Welt schmücken. Und jetzt? Was werden
die Menschen heute, morgen in Bayern nun sagen? Jenseits des
erlittenen, umfassenden menschlichen Leidens: Es ist mehr passiert
als ein großer Unfall. Deutschland hat als Standort des Vertrauens
großen Schaden genommen.

Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=55903
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_55903.rss2

Rückfragen bitte an:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: (0201) 804-0
zentralredaktion@waz.de


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