WAZ: Paris-Moskau-Berlin-Gipfel: Der russische Wolf zeigt Zähne - Kommentar von Joachim Rogge
Geschrieben am 24-09-2006 |
Essen (ots) - Die Eisenfaust hatte Wladimir Putin in der Asservatenkammer des Kreml gelassen, hatte beim Gipfel im nordfranzösischen Compiègne statt dessen die Feiertags-Samthandschuhe angezogen. Als verlässlicher, moderater Partner mit nur den allerbesten Absichten präsentierte sich der Kremlchef sehr zur Freude Jacques Chiracs. Nichts soll die Freundschaft zwischen Élysée-Palast und Kreml trüben.
Dass sich die Russen gerade klammheimlich, ohne die französischen und deutschen Partner auch nur zu informieren, beim gemeinsam geführten Rüstungskonzern EADS einkauften und dabei unverhohlen auch auf Mitsprache in unternehmerischen Entscheidungen schielen, vermag Präsident Chirac offenkundig ebenso wenig zu irritieren wie die handfeste Moskauer Drohung, dem französischen Ölkonzern Total die Lizenz für die Ausbeutung eines sibirischen Ölfelds zu entziehen. Der russische Wolf zeigt Zähne - und Paris lächelt dazu.
Russland ist unter Putin entschlossen, sein neues politisches Gewicht strategisch klug zu nutzen. Das Land, das nur acht Jahre nach seiner de-facto-Pleite heute vor Kraft und Geld kaum laufen kann, will mit aller Macht in die Beletage der europäischen Spitzentechnologie einziehen, auch wenn Putin Moskaus Absichten im Prunkschloss von Compiègne demonstrativ herunterspielte. Er weiß nur zu gut: Der Hunger nach russischem Gas, die europäischen Rivalitäten auch im Energiebereich, zwingen zu Zugeständnissen, die der starke Mann im Kreml für die eigenen Ziele geschickt zu nutzen weiß. Putin nutzt den Energiehebel als politisches Instrument, um Russlands Einfluss als Wirtschaftsmacht auf der europäischen Bühne dauerhaft zu verankern. Die Luft- und Raumfahrtindustrie etwa, Europas Stolz, ist ein strategischer Bereich, in dem das russische Riesenreich trotz aller Erfolge in der Vergangenheit heute erheblichen Nachholbedarf hat.
Mit Chirac hat Putin einen politischen Partner zur Seite, der das russische Spiel um strategischen Einfluss in Zukunftsmärkten ohne erkennbare Reserve mitspielt und in dem Mann aus Moskau einen engen Freund sieht, dem man lästige Fragen nach seinen wirklichen Absichten möglichst er-spart. Wird schon gut gehen, meint Chirac.
Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel es nicht eilig hatte, sich in Compiègne dazu zu gesellen, beim Gipfel sogar mit einiger Verspätung eintraf, hatte vor diesem Hintergrund fast schon einen gewissen Symbolcharakter. Wo kritische Distanz auf der Strecke bleibt, wachsen die Risiken.
Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=55903 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_55903.rss2
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