INSM zieht Bilanz nach einem Jahr Großer Koalition: Donges: "Dieser Regierung fehlt der Mut zu großen Reformschritten."
Geschrieben am 08-11-2006 |
Köln (ots) - "Die Große Koalition hat nicht den Mut, große Reformschritte zu gehen." Mit diesem Satz fasste der frühere Vorsitzende der fünf Wirtschaftsweisen und Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln, Prof. Dr. Juergen B. Donges, im Namen der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) die einjährige Regierungsbilanz der schwarz-roten Bundesregierung zusammen.
Donges kritisierte vor allem die Konzeptionslosigkeit der Regierung bei der Umgestaltung der sozialen Sicherungssysteme. "Die verunglückte Gesundheitsreform wird wenig Wettbewerb und höhere Kosten mit sich bringen. Auch in der Arbeitsmarktpolitik hat die Regierung bisher nur an den Symptomen herumgedoktert. So werden wir es nicht schaffen, das Wachstum in Deutschland dauerhaft und nachhaltig zu stabilisieren," so Donges.
Wie dürftig die Reformfortschritte der Merkel-Müntefering-Koalition bisher sind, zeigt auch das aktuelle "Merkelmeter" der INSM und der WirtschaftsWoche. Schwarz-Rot hat gut drei Monate nach Regierungsantritt nur 4,6 Prozent der Wegstrecke zurückgelegt, die aus wirtschaftswissenschaftlicher und ordnungspolitischer Sicht in dieser Legislaturperiode notwendig wäre, um nachhaltig mehr Beschäftigung und Wachstum auszulösen. Ökonomen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) untersuchen dabei alle Kabinettsbeschlüsse, Gesetzentwürfe und Gesetze aus den Bereichen Steuern und Finanzen, Arbeitsmarkt, Soziale Sicherung und Governance auf deren Beschäftigungs- und Wachstumswirkung.
Auftrieb gab dem Merkelmeter zum Beispiel die Föderalismusreform oder die Beitragssenkung in der Arbeitslosenversicherung. Für starken Abtrieb sorgten aber die Gesundheitsreform und die zum Jahresbeginn geplante Mehrwertsteuererhöhung. Die Ende Oktober vorgestellte Reform der Erbschaftsteuer ist verantwortlich dafür, dass das Merkelmeter aktuell immerhin noch um 0,3 Punkte auf 4,6 Prozent gestiegen ist.
Der INSM-Botschafter und frühere Vorsitzende des Sachverständigenrates nahm die Ergebnisse des "Merkelmeters" zum Anlass, die Bundesregierung zu mehr Mut bei der Verwirklichung von Reformen aufzurufen. "Die Schritte, zu denen sich die Regierung in Berlin aufraffen konnte, waren klein und zudem in sich widersprüchlich. Was wir jetzt brauchen, ist jenseits wohlfeiler Rhetorik eine klare und mutige Vision für mehr Wachstum in Deutschland," so Donges.
Hintergründe und ausführliche Papiere zur Studie "Merkelmeter" stehen im Internet unter www.insm.de zum Download zur Verfügung. Auf den folgenden Seiten finden Sie eine Synopse mit wichtigen Inhalten der aktuellen Studie.
Die wissenschaftliche Jahresbilanz der Bundesregierung finden Sie im aktuellen Merkelmeter. Das neue Papier dieser vom Institut der deutschen Wirtschaft exklusiv für die WirtschaftsWoche und die INSM erstellten Dauerstudie finden Sie auf www.insm-merkelmeter.de. Eine Synopse der dürftigen wirtschaftspolitischen Bilanz der Regierung Merkel-Müntefering auf den vier wichtigsten Reformfeldern:
1. Arbeitsmarktpolitik: Hier hat die Bundesregierung bislang im Wesentlichen an Symptomen herumgedoktert. Beispiele dafür sind die jüngsten Änderungen bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende (z. B. schärfere Sanktionen sowie Job-Sofortangebote für Arbeitsuchende oder die strengere Definition von Bedarfsgemeinschaften). In der Großen Koalition fehlte bisher der Wille, eine grundlegende Reform in Angriff zu nehmen, die die massiven Konstruktionsfehler bei der prinzipiell richtigen Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe beseitigt (insbesondere die unklare Zuständigkeit in den Arbeitsgemeinschaften von Bundesagentur und Kommunen). Der aktuelle Politikbetrieb in Berlin lässt auch daran zweifeln, ob die von der Union für den Herbst 2006 angekündigte "Generalrevision von Hartz IV" kommen wird.
Stattdessen gibt es Entscheidungen, die das Land unter Wachstumsaspekten nach hinten werfen. Zu nennen ist hier das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (früher: Anti-Diskriminierungsgesetz). Dieses Gesetz errichtet neue Hürden auf einem Arbeitsmarkt, der weniger statt mehr ar-beitsrechtliche Beschäftigungshindernisse braucht und zum Beispiel beim Kündigungsschutz weiter dereguliert werden muss. Vereinfachung ist auch bei der befristeten Beschäftigung geboten. Zwar wird zum 1.1.2007 der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 4,5 Prozent gesenkt. Allerdings geht dies einher mit einer massiven Erhöhung der Mehrwertsteuer. Und: Der Anstieg der Renten- und Krankenkassenbeiträge (siehe Sozialpolitik) wird diese Entlastung unterm Strich sehr schnell wieder kassieren.
2. Sozialpolitik: Das aktuelle Gesetzesvorhaben zur Gesundheitsreform löst auch in seiner am 25. Oktober im Bundeskabinett verabschiedeten Form keines der Kernprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung. Der geplante Gesundheitsfonds stellt erstens deren Finanzierung nicht nachhaltig auf solide Beine. Zweitens findet die gebotene Abkoppelung von den Arbeitskosten durch den Fonds nicht statt. Drittens bringt die Reform nicht mehr Wettbewerb zwischen den Leistungsanbietern im Gesundheitswesen. Stattdessen drohen höhere Beiträge und weniger Wettbewerb sowie mehr Bürokratie.
Zudem wird der durchschnittliche allgemeine Beitragssatz zur Gesetzlichen Krankenversicherung 2007 steigen. Statt die GKV-Ausgaben zu senken - etwa durch Einschnitte beim Leistungskatalog oder durch Strukturreformen, die zu mehr Kosteneffizienz führen -, kündigten die Koalitionsspitzen an, dass "der Beitragssatz ab 1. Januar 2007 um etwa 0,5 Prozentpunkte steigen" müsse.
Nach einem Jahr gibt es nun eine Vereinbarung über die geplante Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters von derzeit 65 auf 67 Jahre ab 2012 bis 2029. Die Richtung stimmt, wenngleich zu kritisieren bleibt, dass das momentan absehbare Tempo der Veränderungen mit den rasanten demographischen Veränderungen in unserem Land kaum Schritt halten wird. Während hier im Detail noch vieles unklar bleibt, ist bereits im Koalitionsvertrag festgelegt, dass der Beitragssatz zur Gesetzlichen Rentenversicherung von derzeit 19,1 auf 19,9 Prozent erhöht werden soll. Das entsprechende Gesetz lässt allerdings noch auf sich warten.
3. Steuer- und Finanzpolitik: Die von der Koalition angekündigte Unternehmenssteuerreform bietet durchaus Chancen für mehr Wachstum und Beschäftigung. Die tarifliche Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften soll danach von derzeit 38,7 auf 29,2 Prozent gesenkt werden. Allerdings streiten sich die Koalitionsparteien noch darüber, wie sie die Einnahmenausfälle begrenzen beziehungsweise kompensieren können, die sich aus der Senkung der Tarifbelastung ergeben. Grundsätzlich ist eine stärkere Substanzbesteuerung geplant, die vor allem ertragsschwache Unternehmen benachteiligt. Ein leichtes Plus bringt die geplante Reform der Erbschaftsteuer, welche die Unternehmensnachfolge bei Personenunternehmen steuerlich vereinfacht.
Der in diesem Jahr erstmals wieder kräftig wachsenden Wirtschaft hat es die Bundesregierung wesentlich zu verdanken, dass Deutschland das Maastrichtkriterium bei der Nettoneuverschuldung wieder einhalten kann. Dieser konjunkturelle Rückenwind hilft dem Bundesfinanzminister voraussichtlich auch dabei, 2007 erstmals nach fünf Jahren wieder einen verfassungskonformen Bundeshaushalt vorzulegen, bei dem die Nettokreditaufnahme des Bundes unter seinen Investitionsausgaben liegt. Über Jahre hat sich die Bundesregierung haushaltspolitisch damit beholfen, die Störung eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorzuschützen. Die Bürger und Unternehmen zahlen für die Einhaltung dieser Verschuldungsgrenzen aber einen hohen Preis: Darin enthalten sind die Erhöhung der Mehrwertsteuer, der Versicherungssteuer und die Einführung der "Reichensteuer".
4. Governance: In ihren Ankündigungen hat die Bundesregierung der Bürokratie den Kampf angesagt. Wesentliche Neuerungen sind dabei die Einrichtung des Nationalen Normenkontrollrates mit Anbindung im Kanzleramt und die Einführung des Standardkostenmodells zur Bürokratiemessung. Dies sind grundsätzlich richtige Schritte. Bislang fehlen jedoch die klare Zielvorgabe für eine wirklich systematische Entbürokratisierung sowie eine eindeutige Quantifizierung des Ziels. Nach holländischem Vorbild könnte diese wie folgt lauten: Die Bürokratiekosten für Unternehmen müssen innerhalb einer Legislaturperiode um 25 Prozent gesenkt werden. Etwas klarer hat die erste Stufe der Föderalismusreform die Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern zugeordnet. Allerdings konnten sich Bund und Länder bei der föderalen Neuordnung nur auf einen nationalen Stabilitätspakt einigen, der die Länder erstmals verbindlich mit in die "Haftung" für die Einhaltung der Maastricht-Kriterien nimmt. Die Reform der Finanzverfassung und des wettbewerbsfeindlichen Länderfinanzausgleichs müssen in einer zweiten Stufe der Föderalismusreform noch folgen. Wenn diese kommt, ist unklar.
Fazit: Nach den ersten zwölf Monaten Großer Koalition kann das Kabinett Merkel-Müntefering nur auf eine vergleichsweise bescheidene Reformbilanz zurückschauen. Viele Schritte sind zudem in sich widersprüchlich, so dass Positives (wie die Föderalismusreform oder die Einrichtung des Normenkontrollrates) durch Negatives (wie die Gesundheitsreform oder die Mehrwertsteuererhöhung) konterkariert wird.
Originaltext: Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=39474 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_39474.rss2
Pressekontakt: Dieter Rath, Tel.: (0221) 4981-400, E-Mail: rath@insm.de
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