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WAZ: Anlässlich eines Jahrestages: Unsere Regierung? Wir sind das Problem - Kommentar von Ulrich Reitz

Geschrieben am 14-11-2006

Essen (ots) - Nur, weil in diesen Tagen wieder so viele senden und
schreiben, die Große Koalition sei Mist, und dabei nicht einmal
falsch liegen, weil: wieso sollte eine Regierung gut sein, die
niemand wollte, nicht einmal diese Regierung wollte sich doch selbst,
nur darum also und wegen des nahen Jahrestages dieser Veranstaltung,
einige ungeordnete Gedanken zur Relativierung der übellaunigen
Schlechtrechnerei.

Gänzlich falsch ist der Eindruck, es werde nicht regiert, und die
Regierung gehöre abgelöst, weil, wer auf Steuerzahlerkosten nichts
tut, ohne Zweifel überbezahlt ist. Die Regierung regiert. Sie
reformiert den Föderalismus, lässt die ohnehin immer älter werdenden
Leute folgerichtig arbeiten, bis sie 67 Jahre alt sind (manche
meckern: sie kürzt die Renten), großzügig mit dem Geld anderer Leute
spendiert sie ein kleines Konjunkturprogramm und das Elterngeld,
therapiert das Gesundheitswesen (man weiß noch nicht, ob es davon
gesundet, das Krankheitswesen), besteuert den Mehrwert der Dinge
höher und plant sogar, den Unternehmen weiter zu helfen,
international wettbewerbsfähiger zu werden, wovon Beschäftigte dann
vielleicht auch noch profitieren oder eben auch nicht. Und Atomkraft
bleibt weiter pfui, wohingegen Gas von Putin gerne genommen wird,
jedenfalls solange, wie er geruht, auf die Erpressung unsererseits zu
verzichten. Unterm Strich wird ergo niemand behaupten können, es
laufe alles schlecht.

Die Regierung hat im Grunde nur wenige Probleme. Ihr größtes
allerdings sind wir, also das Volk. Im Grunde leidet die Regierung an
der urdeutschen Lust, Zeuge des eigenen Untergangs zu werden. Weil
Deutsche seelenmäßig irgendwie und irgendwo zwischen Melancholie und
Masochismus angesiedelt sind, haben sie die Fussball-WM vergessen.
Sie war auch, bei Lichte besehen, in ihrer ganzen undifferenzierten
Begeistungsfähigkeit doch eher undeutsch. Und was sollte Regieren
auch zu tun haben mit einem, der Geschichte nach, englischen
Proletariersport?

Das Problem mit der sich selbst tragenden Melancholie heißt
derzeit: Aufschwung. Aber erstens dauert der ganz bestimmt nicht mehr
so superlange, und zweitens geht er auf Schröder zurück, hat also
nachgewiesenermaßen mit der Großen Koalition nichts zu tun. (Außerdem
ist Schröder jetzt ein Russe. Oder ein Schweizer, je nachdem,
jedenfalls so richtig keiner mehr von uns.) Will sagen, bezüglich des
verbreiteten Schlechtredens der derzeitigen Koalition: Eine
Regierung, von der wir glauben, sie sei schlecht, kann gut nicht
sein. Basta.

Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=55903
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_55903.rss2

Pressekontakt:
Rückfragen bitte an:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Telefon: (0201) 804-8975
zentralredaktion@waz.de


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