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LVZ: Leipziger Volkszeitung zum Urteil im Fall Stephanie

Geschrieben am 14-12-2006

Leipzig (ots) - Unbegreiflich
Von Armin GörtzDer Fall Stephanie bleibt durch und durch entsetzlich.
Die Fassungslosigkeit, die das Schicksal des Mädchens auslöst, wird
durch das gestrige Urteil nicht beseitigt. Doch zumindest hebt sich
die korrekte Entscheidung der Richter deutlich ab von dem Versagen,
das Ermittler, Anwälte, Minister und Talkshow-Macher einte. Das
Landgericht wurde seiner Verantwortung gerecht. Es ließ sich nicht
darauf ein, durch bürokratisches Sinnieren irgendwelche das Strafmaß
senkende Umstände herbeizutheoretisieren. Es demonstrierte gegenüber
dem Täter, dem Opfer und der Allgemeinheit Entschlossenheit und
verhängte die höchstmögliche Strafe. Mit der sich anschließenden
Sicherungsverwahrung wird zugleich der rechtliche Rahmen
ausgeschöpft, um die Gesellschaft langfristig vor Mario M. zu
schützen.
Die Brutalität und Perversion des Verurteilten liegt außerhalb des
normalen menschlichen Vorstellungsvermögens. Ebenso ist ein
Außenstehender nicht in der Lage, sich auch nur ansatzweise in die
Lage des gepeinigten Kindes hineinzufühlen. Allein der Gedanke an das
Martyrium löst Beklemmung aus. Die Sorge, dass Stephanie einLeben
lang unter den seelischen Folgen leiden könnte, ist nach ihrer
Befreiung jedoch nicht kleiner, sondern eher größer geworden.
Ein minderjähriges Opfer und seine Angehörigen sind nach solch einem
Schock kaum in der Lage, sorgfältig abgewogene Entscheidungen zu
fällen. Das verständliche öffentliche Interesse ist ebenso schwer
verkraftbar wie die unverzichtbaren Befragungen durch Ermittler oder
eventuelle Auftritte vor Gericht.
Hier war die Familie auf die professionelle Hilfe von Anwälten
angewiesen. Ob sie gut beraten haben, scheint mehr als zweifelhaft.
Die Strategie, gezielt per Interview und TV-Auftritt Druck auf das
Gericht und den Freistaat Sachsen auszuüben, könnte vor allem den
psychischen Druck auf das Mädchen erhöht haben. Neben dem Mitgefühl
der Bevölkerung mit dem Opfer macht sich der Verdacht eines
Entschädigungs-Geschachers breit. Und das ZDF, das vor einem Jahr die
gerade freigekommene, noch völlig verwirrte Irak-Geisel Susanne
Osthoff im Interview präsentiert hatte, setzte mit Stephanies
Kerner-Auftritt seinen gebührenfinanzierten Vormarsch über die
Grenzen der Scham fort.
Nicht zuletzt offenbart die Geschichte behördliches Versagen. Eine
Peinlichkeit war der Dach-Ausflug, mit dem Mario M. Sachsens
Justizminister Mackenroth blamierte. Jenes für die Öffentlichkeit
ebenso ungefährliche wie eindrucksvolle Spektakulum hatte allerdings
zur Folge, dass ein weit schwerer wiegender Skandal in den
Hintergrund der Wahrnehmung rückte: Die Ermittlungspanne der Polizei,
für die Innenminister Buttolo die politische Verantwortung trägt. Ein
Fehler bei der Suche per Computer hatte dazu geführt, dass die Geisel
erst nach Wochen freikam. Es ist vieles, zu vieles unbegreiflich am
Fall Stephanie.

Originaltext: Leipziger Volkszeitung
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=6351
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_6351.rss2

Pressekontakt:
Rückfragen bitte an:
Leipziger Volkszeitung
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Telefon: 0341/218 11558


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