LVZ: Startschuss
Geschrieben am 26-03-2006 |
Leipzig (ots) - Von Bernd Hilder Die Landtagswahlen sind ausgezählt. In Berlin kann nach langen Wochen großkoalitionärer Wahlkampfruhe und Entscheidungsstarre wieder regiert werden. Die Betonung liegt auf dem Wörtchen kann. Denn was nach dem allseits herbeigesehnten Startschuss zum Handeln tatsächlich passiert, ist ungewiss. Von respektablem Reformeifer über das Kuddelmuddel fauler Kompromisse oder eskalierendem Richtungsstreit zwischen Union und SPD bis hin zur Fortsetzung innenpolitischen Stillstands ist vieles denkbar. Dabei darf die große Koalition den Wahl-Ausgang als kräftigen Rückenwind verbuchen: Die CDU hat großartig in Baden-Württemberg gesiegt, in Sachsen-Anhalt wie erwartet, und die SPD grandios in Rheinland-Pfalz. Trotz miserablen Abschneidens dürfen sich die Sozialdemokraten in Magdeburg große Hoffnungen auf Ministerposten machen. Es ist die politische Sternstunde der Ministerpräsidenten Oettinger, Böhmer und Beck, die ihre Ämter souverän verteidigten. Und es ist das politische Elend der Herausforderer, besonders das von Ute Vogt und Christoph Böhr. Wenigstens Böhr zog postwendend die Konsequenz - und trat zurück. Was viele der großen Koalition schon innerhalb kürzester Zeit vorhersagten, blieb aus: Ein Schrumpfen der Volksparteien sowie ein Erstarken der politischen Ränder und der Oppositionsparteien. Die Wähler verlängern Kanzlerin Merkel und ihrer Regierung die Probezeit. Die Schonfrist aber wird nicht unbegrenzt sein: Die äußerst schwache Wahlbeteiligung ist nicht nur ein Zeichen für politische Langeweile in Zeiten großer Koalitionen, sondern auch für Frust weiter Bevölkerungsteile über die Politik. In den neuen Bundesländern stärker als in den alten. Die mentale Verabschiedung aus demokratischen Legitimierungs- und Entscheidungsprozessen ist besorgniserregend. Großer Wahl-Verlierer ist die FDP, die ihre bundespolitische Oppositionsrolle noch nicht gefunden hat. Ihre Kampagne gegen die Mehrwertsteuererhöhung zog (noch?) nicht. Gute Noten für die Regierungen in Stuttgart, Mainz und Magdeburg zahlten sich nicht für die liberalen Juniorpartner aus. Nur in Stuttgart wird er - vielleicht - noch gebraucht. Der Verlust an föderaler Macht schwächt die FDP bundespolitisch entscheidend: SPD und CDU verfügen jetzt über eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundesrat. Die FDP verliert das Machtvehikel der Sperrminorität. Für die Linkspartei fällt die Bilanz zwiespältig aus: In Sachsen-Anhalt konnte sie zwar die SPD locker abhängen, aber ihre West-Partner von der WASG landeten deutlich vor der Fünf-Prozent-Hürde. Die Post-Kommunisten bleiben Regional-Partei. Die Taktik, über die WASG im Westen Fuß zu fassen, erleidet einen herben Rückschlag. Allerdings muss sich auch die SPD fragen, warum sie trotz ihres wackeren Kandidaten Jens Bullerjahn in Sachsen-Anhalt nur zum Juniorpartner von (sehr wahrscheinlich) CDU oder Linkspartei taugt. Zu Zeiten von Willy Brandt etablierten sich neben der SPD die Grünen. Die SPD-Vorsitzenden Lafontaine und Schröder konnten in den neuen Bundesländern die Linkspartei nicht verdrängen. Davon kann derzeit auch der "gelernte DDR-Bürger" und SPD-Chef Matthias Platzeck bestenfalls träumen.
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