Westdeutsche Zeitung: Kassenpatienten müssen länger auf Arzt-Termin warten = von Eberhard Fehre
Geschrieben am 21-02-2007 |
Düsseldorf (ots) - Der Klassenkampf im Wartezimmer ist eines der beliebtesten Schlachtfelder unserer Demoskopen. Ergebnisse sind absehbar, öffentliche Aufmerksamkeit ist gewiss und moralische Empörung garantiert. Wenn du arm bist, musst du früher sterben, schwingt da mit. Und auch wenn Fälle unterlassener Hilfeleistung durch deutsche Ärzte statistisch überhaupt nicht erfassbar sind, bleibt doch die schreiende Ungerechtigkeit, dass ein Viertel der gesetzlich Versicherten mehr als zwei Wochen auf einen Termin beim Arzt warten muss. Von den Privatversicherten trifft dieses Los nur 7,8 Prozent. Niemand wird diese Zustände begrüßen. Aber die moralische Empörung ist zu bequem, als dass wir sie unseren Politikern durchgehen lassen könnten. Denn es mag ja sein, dass aus ökonomischen Gründen die Politik durch Reglementierung und Budgetierung in die medizinische Verantwortung der Ärzte eingreifen musste. Es ist aber schlicht schäbig, wenn jetzt dieselben Politiker den Ärzten vorwerfen, dass diese sich so verhalten, wie die politischen Vorgaben es von ihnen verlangen: nämlich ebenfalls ökonomisch. Das war ja von der Politik so gewollt, um Kosten zu senken und Beiträge stabil zu halten. Auch der Privatversicherte taugt nicht zum Buhmann. Unser Gesundheitswesen wird nicht unwesentlich durch die Privaten finanziert. Die rund zehn Prozent Privatversicherten subventionierten das Gesundheitssystem 2005 mit 9,6 Milliarden Euro. Wenn auch heute noch Deutschland in der medizinischen Versorgung weltweit einen Spitzenplatz hält - was in der Diskussion gern vergessen wird -, dann oft allein dank dieser Quersubventionierung. Das wissen die Experten aller Fraktionen sehr genau. Stattdessen aber wird die soziale Ungerechtigkeit eines Systems beklagt, für das die Politik selbst verantwortlich ist und das schon längst zusammengebrochen wäre, hätte man es der Politik allein überlassen. Denn der schrittweise Rückzug der Gesellschaft aus der Finanzierung wird ja nur durch die überproportionale Leistung der Privaten und durch das nicht selbstverständliche Engagement vieler Ärzte abgefedert. Es ist zu billig, sie auf die Anklagebank zu setzen. Denn gerade im Gesundheitswesen gilt, dass die Menschen - Ärzte, Schwestern und Pfleger - immer noch besser funktionieren als die Verhältnisse, unter denen sie leben und oft nicht weniger leiden als ihre Patienten.
Eberhard Fehre Stellv. Politikchef WESTDEUTSCHE ZEITUNG Tel.: 0211/ 8382-2213 Fax: 0211/ 8382-2392 E-Mail: eberhard.fehre@westdeutsche-zeitung.de Internet: www.wz-newsline.de
W. GIRARDET KG Königsallee 27 40212 Düsseldorf Kommanditgesellschaft; Sitz: Düsseldorf Amtsgericht Düsseldorf HRA 8806
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