Deutsche Umwelthilfe fordert "Vorsorge statt Aktionismus beim Hochwasserschutz"
Geschrieben am 05-04-2006 |
Berlin/Hannover (ots) -
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Wissenschaftler der Universität Karlsruhe nennen Auenabholzung an der niedersächsischen Elbe "nicht haltbar" - Ministerpräsident Christian Wulff soll Kahlschlagwahn seines Umweltministers Sander stoppen - DUH warnt andere Länder vor "hilflosem Hochwasserschutz gegen die Natur"
5. April 2006: Die vom niedersächsischen Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) im vergangenen Jahr unter der Fahne des Hochwasserschutzes verfügte Abholzung ufernaher Weiden und Pappeln an der niedersächsischen Elbe ist als Gegenmaßnahme gegen die aktuellen und alle künftigen Elbefluten ungeeignet, rechtlich nicht abgesichert und ökologisch schädlich. Zu diesem für die CDU/FDP-Regierung in Hannover peinlichen Ergebnis kommt die Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) nach einer fachlichen Überprüfung der dem so genannten Sander-Erlass zugrunde liegenden Untersuchung über das Abflussverhalten im niedersächsischen Elbeabschnitt durch die Universität Karlsruhe. Die Abholzungsaktionen insbesondere in der Lüneburger Elbmarsch und im Landkreis Lüchow-Dannenberg erfolgen ohne tragfähige Rechtsgrundlage und sind damit rechtswidrig.
"Der Sander-Erlass ist nach diesen Erkenntnissen entweder Folge einer aktionistischen Überreaktion oder ideologischer Verblendung des Ministers. Ministerpräsident Christian Wulff muss diese Anordnung sofort kassieren, damit der sinnlose Kahlschlag an den ufernahen Weichhölzern nicht im Herbst weitergeht", erklärte Dr. Frank Neuschulz, der Leiter Naturschutz der Deutschen Umwelthilfe heute in Hannover. "In diesen Tagen wird uns drastisch vor Augen geführt, dass gegen reale Elbefluten keine politischen Symbolhandlungen helfen, sondern nur ein ökologisch durchdachter Hochwasserschutz, zu dem vor allem die Schaffung neuer und die Öffnung alter Überschwemmungsgebiete gehört." Nach DUH-Informationen gibt es auch in anderen Bundesländern Überlegungen, auf die wachsende Zahl extremer Hochwasserereignisse mit Kahlschlagaktionen in den Flussauen zu reagieren. "Es wäre ein Stück aus dem Tollhaus, wenn die Landespolitiker jetzt auch anderswo mit einem hilflosen Hochwasserschutz gegen die Natur reagieren, um von ihren Versäumnissen bei der Vorsorge abzulenken", warnte Neuschulz.
Das verheerende Elbhochwasser im August 2002 habe bei Politikern und Deichbauern seinerzeit eine "Flut von Versprechungen" ausgelöst, so Neuschulz. Neue Gesetze wurden erlassen, milliardenschwere Soforthilfeprogramme aufgelegt und umgesetzt. Mit viel Pathos versprachen Politiker neue Leitbilder für einen nachhaltigen Hochwasserschutz, um den "Flüssen endlich mehr Raum zu geben". Doch statt neuen Überflutungsflächen oder der Aufweitung von Engstellen zwischen den Deichen widmete sich der FDP-Umweltminister in Hannover der Beseitigung der ufernahen "Verbuschung", die er als "Abflusshindernis" einstufte. Als Grundlage diente Sander ein im Jahr 2004 eigens zu diesem Zweck erstelltes Gutachten des Ingenieurbüros Schwerin (ibs), das die Auswirkungen der Weichholzvegetation auf den Hochwasserabfluss der Elbe untersuchen sollte. Das Ergebnis fügte sich vortrefflich in die Vorurteile des Umweltministers: Die "zunehmende Rauhigkeit" im Vorland der Elbe werde den Wasserspiegel bei einem Hochwasser mit einem Abfluss von 4000 m³/s zusätzlich um einen halben Meter ansteigen lassen.
Im Juli 2005 erließ Sander die Anordnung, die die Beseitigung der den Hochwasserabfluss angeblich beeinträchtigenden Verbuschung regelte. Seither werden vor allem in der Lüneburger Elbmarsch und im Landkreis Lüchow-Dannenberg am Elbufer an vielen Stellen Weidengebüsche und Bäume unterschiedlichen Alters abgeholzt. Nachweislich kam es dabei auch zu Kollateralschäden: Biberbauten und wichtige Nahrungsflächen dieser bundesweit geschützten Tiere fielen Sanders Rodungs-Ukas zum Opfer. Mit der Durchführung der Arbeiten wurden vornehmlich die Außenstellen Lauenburg und Wittenberge der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes betraut. Im Raum Lüneburg beteiligten sich auch Feuerwehren und Privatpersonen.
Auf Veranlassung der Deutschen Umwelthilfe e.V. (DUH) unterzog das Institut für Wasser- und Gewässerentwicklung der Universität Karlsruhe die dem Sander-Erlass zugrunde liegende Untersuchung des Ingenieurbüros Schwerin (ibs) in den vergangenen Wochen einer kritischen Würdigung. Danach steht zweifelsfrei fest, dass die zentrale Aussage der Untersuchung, wonach der Wasserspiegel wegen der Vegetationsentwicklung am Elbufer bei Hochwasser zusätzlich um 50 cm steigt, "nicht haltbar" ist. "Massive Ungenauigkeiten ergeben sich insbesondere durch die ausschließliche Verwendung eines eindimensionalen Strömungsmodells", sagte Prof. Dr. Hans Helmut Bernhart, der Leiter der Abteilung Wasserbau und Gewässerentwicklung der Universität Karlsruhe, in Hannover. Eine solide Beurteilungsgrundlage könne allenfalls durch ein zweidimensionales Modell geschaffen werden. Mit ihm ließen sich auf Basis einer entsprechenden Strömungsanalyse "hydraulische Flaschenhälse im Lauf der Elbe" exakt identifizieren. Sollten sich daraus dann tatsächlich notwendige Eingriffe ergeben, "könnten die gegenüber der gegenwärtigen Praxis minimiert werden", so Bernhart.
Nicht nur sachlich auch rechtlich steht der Sander-Erlass nach einer fachjuristischen Prüfung seitens der DUH auf schwankendem Grund. Danach ist es Strategie des niedersächsischen Umweltministeriums, bei der von ihm veranlassten Auenabholzung die Schutzvorschriften des Gesetzes über das Biosphärenreservat "Niedersächsische Elbtalaue" (NElbtBRG) und des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes (NNatG) zu umgehen. Als Hebel diene Minister Sander der Hochwasserschutz und die Berufung auf das Bundeswasserstraßengesetz (WaStrG). Der Schutz vor Hochwassergefahren ist jedoch gar nicht Gegenstand des WaStrG und scheidet damit als Rechtsgrundlage für die Abholzungsmaßnahmen von vornherein aus. Auch eine Freistellung von den Verboten des NElbtBRG und des NNatG "aus Gründen der Gefahrenabwehr" komme nicht in Betracht, weil Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zwingend das Vorliegen einer konkreten Gefahr erfordern. Diese liege jedoch nicht einmal im Ansatz vor, nachdem sich die Ergebnisse der Untersuchung des Ingenieurbüros Schwerin als wissenschaftlich untragbar erwiesen hätten. "Der Sander-Erlass ist nicht nur aus tatsächlichen Gründen nicht haltbar", erklärte Dr. Cornelia Ziehm, die Leiterin Verbraucherschutz und Recht der DUH, "es fehlt zugleich an einer tragfähigen Rechtsgrundlage für die eingeleiteten Maßnahmen. Die Anordnung der Abholzungsmaßnahmen ist schlicht rechtswidrig."
Ziehm nannte die Hochwasserstrategie der niedersächsischen Landesregierung "unverantwortlich". Statt ohne sachliche und juristische Grundlage die Schuld für die jährlichen Hochwasserereignisse im natürlichen Bewuchs der Auen zu suchen, solle die Regierung bestehendes Recht umsetzen und endlich ihrer Pflicht zur Ausweisung von Überschwemmungsgebieten und zur Rückverlegung von Deichen nachkommen. "Nur wenn die Flüsse mehr Raum bekommen, werden wir dauerhaft einen effektiven Hochwasserschutz erreichen. Die rechtlichen Instrumente dafür stehen zur Verfügung, es wird dringend Zeit, sie auch zu nutzen", so Ziehm.
Originaltext: Deutsche Umwelthilfe e.V. Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=22521 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_22521.rss2
Für Rückfragen: Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik (DUH), Tel.: 030/258986-15, Fax.: 030/258986-19, mobil: 01715660577, E-Mail: rosenkranz@duh.de
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