WESTERWELLE-Interview für die 'Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Geschrieben am 12-10-2005 |
12.10.2005 - Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der 'Westdeutschen Allgemeinen Zeitung' (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte CHRISTINA WANDT:
Frage: Herr Westerwelle, Angela Merkel war stets Ihre Wunschkanzlerin, nun ist sie kurz vorm Ziel - und Sie mögen sie nicht mehr mitwählen. Wie kommt´s?
WESTERWELLE: Mein persönliches Verhältnis zu Angela Merkel ist sehr gut, darum werden Sie von mir weiterhin Gutes über sie hören. Ich schätze sie als eine zuverlässige, durchsetzungsstarke, sympathische und freundliche Frau - aber Schnaps ist Schnaps und Dienst ist Dienst.
Frage: Was prägt denn Ihr Dienstverhältnis?
WESTERWELLE: Angela Merkel ist jetzt die Kandidatin einer Großen Koalition, die einen echten Politikwechsel bereits vor Aufnahme der Koalitionsverhandlungen beerdigt hat: Von einer großen Steuerreform hat man sich verabschiedet, die Tarifkartelle werden nicht aufgebrochen, der Modernisierung des Arbeitsrechts droht eine Beerdigung zweiter Klasse, und die Erhöhung der Mehrwertsteuer ist noch nicht vom Tisch. Das ist nicht das Programm, das Deutschland auf die Beine bringt. Wir haben wie die Union Wahlkampf für einen echten Neuanfang gemacht, und wir Liberale haben unseren Beitrag mit einem sensationellen Wahlergebnis geleistet - warum sollten wir nun eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners mitwählen? Im übrigen haben wir keinen Grund, als Reserverad für die SPD-Fraktion zur Verfügung zu stehen, die sich schwer tut, Angela Merkel geschlossen zu wählen.
Frage: Sie wollen nicht mit der SPD regieren, Sie setzen sich von der Union ab. Richtet sich die FDP auf eine dauerhafte Opposition ein, oder mit wem wollen Sie später einmal regieren?
WESTERWELLE: Mit denen, die den Politikwechsel wollen. Darum hoffe ich sehr darauf, daß sich die Union jetzt nicht sozialdemokratisiert. Wir laufen anderen Parteien nicht hinterher. Aber wenn sich eine Partei unserer Programmatik nähert, dann rennen wir auch nicht weg. Wir sind unverändert bereit, mit unseren 61 Abgeordneten jederzeit an einer Regierung für einen echten Neuanfang mitzuwirken. Schließlich ist es gut möglich, daß die Große Koalition nicht die ganze Legislaturperiode überdauert.
Frage: Schmollen Sie jetzt, weil Sie nicht mitregieren dürfen?
WESTERWELLE: Wir haben uns die Opposition nicht gewünscht, aber wir nehmen sie jetzt als ehrenvolle Aufgabe an. Gerade in Zeiten einer Großen Koalition spielt die stärkste Oppositionspartei zur demokratischen Kontrolle eine bedeutende Rolle. Im übrigen haben wir über die Beteiligung an fünf Landesregierungen im Bundesrat ebensoviel Einfluß wie die SPD. Wer damit rechnet, die FDP werde jetzt eine Haudrauf- und Fundamental-Opposition machen, liegt völlig falsch. Wir werden eine kritische, energische, kontrollierende, konstruktive Oppositionsarbeit machen. Alles, was richtig für unser Land ist, werden wir in Bundestag und Bundesrat unterstützen.
Frage: Schmerzt es Sie nicht persönlich, daß Sie trotz des guten Wahlergebnisses der FDP nicht mitregieren dürfen?
WESTERWELLE: Das ist der Essig im köstlichen Tropfen des Wahlsieges der FDP. Ich selbst bin jung genug und habe mir schon den nächsten Anlauf vorgenommen. Aber für unser Land wird dieser Stillstand Chancen verringern und manche Perspektive verbauen. Viele, die Arbeit suchen und auf den Neuanfang gesetzt haben, werden bitter enttäuscht sein. Die Arbeitslosen haben Ihr Mitgefühl viel eher verdient als ich. Denn von der Großen Koalition geht kein Signal des Anpackens aus. Selten hat eine Regierung mit so wenig Schwung und Optimismus begonnen.
Frage: Müssen Sie nicht einfach akzeptieren, daß die Mehrheit eben keinen schwarz-gelben Neuanfang gewählt hat?
WESTERWELLE: Im Gegenteil: Die Partei, die mutig und klar war, nämlich die FDP, ist besonders stark gewählt worden. Das gilt am anderen Ende des politischen Spektrums übrigens auch für die PDS, deren Programm zwar das komplette Gegenteil zu unserem darstellt, aber in sich ebenfalls unzweideutig ist. Die großen Volksparteien und die Grünen waren dagegen undeutlich und diffus und haben dadurch Stimmen verloren. Die FDP ist auch nach der Wahl klar geblieben: Wir haben die Ampel vorher abgelehnt und auch nachher alle verführerischen Angebote von SPD und Grünen abgelehnt.
Frage: Sie sprechen viel von den Programmen, wie bewerten Sie den Faktor Persönlichkeit?
WESTERWELLE: Der wird dann wichtig, wenn eine Person ein Programm überzeugend verkörpert. Ich habe drei Jahre lang ein Sperrfeuer gegen meine Person durchstehen müssen. Es gab wohl kaum eine Kundgebung von Gewerkschaftsfunktionären oder von der politischen Linken, wo ich nicht als neoliberales Feindbild herhalten mußte. Aber wir haben an der Erneuerung des Sozialstaates festgehalten, weil sie Arbeitsplätze schafft, weil sie neosozial ist. Das hat diesen Angriffen die Spitze gebrochen.
Quelle: Pressrelations.de
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