Westdeutsche Zeitung: Frankreich hat gar keine Wahl = Von Friedrich Roeingh
Geschrieben am 04-05-2007 |
Düsseldorf (ots) - Wie neidisch haben wir lange Zeit zu unserem Nachbarn geschaut. Während die Deutschen nach den Greueln der Nazidiktatur in i immerwährender Selbstkritik Positionsbestimmung betrieben, diente der benachbarten Nation ihre ruhmreiche Geschichte als Quell ewiger Selbstgewissheit. Revolution, Napoleon, V. Republik: Frankreich, Du Glorreiche.
In diesem Präsidentschaftswahlkampf aber ist alles anders. Die Franzosen zeigen sich als ein von Selbstzweifeln und Resignation geprägtes Volk. Und dafür gibt es gute Gründe. Das Land ist erstarrt und spätestens unter der Präsidentschaft Chiracs zum Sanierungsfall geworden. Nirgendwo in Westeuropa wachsen die Staatsschulden schneller, das Wirtschaftswachstum dümpelt lustlos vor sich hin, und die Arbeitslosenzahlen wollen einfach nicht sinken. Beim Pro-Kopf-Einkommen fällt das Land im internationalen Vergleich Jahr für Jahr zurück.
Der Hauptgrund für die Misere heißt schlicht Realitätsverweigerung. Das Land hat störrisch an der 35-Stunden-Woche festgehalten. Und Frankreichs Zentralismus sollte immer weiter wuchern: Inzwischen ist jeder fünfte Arbeitnehmer verbeamtet (in Deutschland jeder zwanzigste). La France hat also gar keine Wahl: Es muss sich grundlegend ändern, und es hat den Anschein, als hätten die Bürger dies endlich verstanden.
Ségolène Royal und Nicolas Sarkozy mögen zwar nach dem alten Links-Rechts-Schema erbittert gestritten haben. Im Kern geht es bei der Wahl aber vor allem um die Frage, ob ein Manager den Wandel gestaltet, dessen Manko in seiner Unberherrschtheit liegt, oder eine Moderatorin, der eine mangelnde Durchsetzungsfähigkeit angelastet wird.
Sarkozy konnte nach der TV-Debatte seinen Vorsprung noch ausbauen. Das ist neben dem starken Ergebnis des eigentlich aussichtslosen Zentristen Bayrou im ersten Wahlgang ein weiterer Hinweis darauf, dass die Mehrheit der Franzosen ihre Angst vor dem Wandel zu überwinden scheint und ihn vielleicht sogar erwartet. Egal, ob sich Sarkozy nun durchsetzen wird, oder Madame Royal - die ihre Glaubwürdigkeit durch allzu unrealistische Versprechen geschwächt hat - noch die Wende schaffen sollte: Frankreich wird sich wandeln, weil es sich wandeln muss.
Originaltext: Westdeutsche Zeitung Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=62556 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_62556.rss2
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