LVZ: Leipziger Volkszeitung zu Ernährung/Übergewicht
Geschrieben am 09-05-2007 |
Leipzig (ots) - Der Deutsche entspricht nicht mehr der EU-Norm. Viel zu dick ist er, unsportlich sowieso, und damit auch zu teuer für das Gesundheitssystem. Kein anderer Europäer bringt - im Durchschnitt betrachtet - mehr auf die Waage als er. Über 60 Prozent der Männer und über 50 Prozent der Frauen hier zu Lande gelten als übergewichtig oder fettleibig. Diese Zahlen - Ergebnis einer vor wenigen Wochen veröffentlichten Studie - haben auch die deutsche Minister-Riege aufgeschreckt. Doch seit gestern glaubt das Bundeskabinett einen Ausweg gefunden zu haben: Ein nationaler Aktionsplan soll den Durchschnittsdeutschen wieder der körperlichen Normalform annähern. Vor allem bei Kindern soll der Trend zum Übergewicht bis zum Jahr 2020 gestoppt sein. Nationaler Aktionsplan, das klingt engagiert, wichtig und - Stichwort Aktion - sogar ein wenig nach Sport und Fitness. Doch die Minister versprechen mehr, als ihr Plan halten kann. Wirklich überzeugende Aktionen gibt es kaum. Stattdessen vor allem Aktionismus oder alte Rezepte, die schon früher meist nichts brachten. Man rufe sich nur Renate Künasts "Plattform für Ernährung und Bewegung" in Erinnerung. Keine Frage, Übergewicht und Fettleibigkeit sind in Deutschland ein enormes Problem. Die Ernährung ist oft ungesund. Bewegung spielt im Alltagsleben vieler Menschen keine Rolle. Dass sich Politik hier einmischt ist richtig, schließlich geht es um die Gesundheit der Bürger. Doch der Aktionsplan hat ein Grundübel: Er setzt auf Information, Appelle an Industrie und Verbraucher sowie auf Freiwilligkeit. Schon bei Zigaretten hat die Überzeugungsarbeit mit rationalen Argumenten nicht geklappt, bei Süßigkeiten, Cola oder Hamburgern wird es erst recht nicht funktionieren. Stattdessen müssen Gesetze her, vielleicht sogar Verbote. In Großbritannien beispielsweise werden Lebensmittel mit hohem Fett-, Zucker- oder Salzgehalt mit einer roten Ampel gekennzeichnet. Ein Signal, das deutlicher ist, als komplizierte Nährwerttabellen oder Kalorienangaben. Und ein Signal, das auch in Deutschland jede verantwortungsvolle Mutter beachten würde. In anderen Ländern - Schweden oder Kanada beispielsweise - gibt es strenge Auflagen für an Kinder gerichtete Fernsehwerbung für Nahrungsmittel. In Großbritannien ist ab 2008 Werbung für so genanntes Junk Food (Nahrung ohne Nährwert) stark eingeschränkt. Auch in Deutschland sollten Richtlinien für Süßwaren-TV-Werbung her. Wenn zum Beispiel mit einem hohen Milch-Anteil geworben wird, die enormen Mengen an Zucker und Butter aber unerwähnt bleiben, dann ist dies irreführend. Auch Auflagen für Schulen - zum Beispiel für die Genehmigung von Cola-Automaten oder für den Verkauf von Süßwaren am Schulkiosk - wären denkbar. Ebenso wie Auflagen zur Verpackungsgröße von Süßwaren. Doch die deutsche Politik traut sich nicht an solche Maßnahmen, der Einfluss der Wirtschaft ist zu groß. So bleibt nur ein Fazit: Für ein Maßnahmen-Paket, das für einen Zeitraum von über zehn Jahren ausgelegt ist und eines der fundamentalen Gesundheitsprobleme einer modernen Industriegesellschaft lösen soll, ist der Aktionsplan zu harmlos.
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