Lausitzer Rundschau: Die Lausitzer Rundschau Cottbus zu Platzecks Rücktritt vom SPD-Vorsitz: Von Schock zu Schock
Geschrieben am 10-04-2006 |
Cottbus (ots) - Nur der Zufall entschied im Herbst für Matthias Platzeck und gegen Kurt Beck als neuen SPD-Chef. Beck hätte nach Münteferings Abgang den ersten Zugriff gehabt, hatte aber gerade eine Landtagswahl vor sich. Spätestens die gestrige Rücktrittserklärung von Matthias Platzeck dürfte auch dem letzten Sozialdemokraten klar gemacht haben, was für einen Hoffnungsträger sie da unversehens bekommen hatten, welch eine Chance auch für 2009. Sicher, Platzeck konnte den Beweis seiner Führungskraft in 146 Tagen Amtszeit noch nicht wirklich führen. Aber es blitzte doch etwas auf: ein anderer Politikertyp, offen, ehrlich, den Menschen zugewandt. Kein Parteikarrierist, kein Intrigant, kein Spieler. Eine Alternative. Vorbei, schon wieder vorbei. Ein Vorsitzender ist Symbol und Leitfigur einer Partei. Zum achten Mal in nur 20 Jahren müssen sich die 600 000 Sozialdemokraten im Land komplett umorientieren. Seit' an Seit' schreiten sie von Schock zu Schock. Mühsam hatten sie sich an Schröder gewöhnt. Nun blicken viele wegen der neuen Jobs des Ex-Kanzlers fast schon mit beginnender Scham auf diese Identifikation. Müntefering erschien dann als zeitgemäße Rückkehr zu den sozialen Ursprüngen der Partei, bis er sich als Führungs-Autist entpuppte. Immer neue Versuche, immer neues Scheitern. Und nun kommt zum Schaden noch Pech dazu, die Krankheit. Im Nachhinein muss man sagen: So anfällig wie Platzeck offenbar konstituiert ist, hätte er das Amt gar nicht übernehmen sollen. Vordergründig, weil es vor 150 Tagen nur eine Zufallsentscheidung war, bedeutet Kurt Becks Berufung keine Zäsur. Das zeigt sich auch an Becks ersten, klugen Entscheidungen, Platzecks Personal, den Generalsekretär und den Bundesgeschäftsführer, im Amt zu belassen. Beck ist nicht weniger volksnah, nicht weniger ehrlich als Platzeck. Er steht wie dieser vorbehaltlos zur großen Koalition, die also nichts zu befürchten hat. Angela Merkels Union läuft wie eine gut geölte Maschine; die SPD erleidet Tiefschlag auf Tiefschlag. Gestern noch führende Regierungspartei, heute bloß ein Juniorpartner, der kein Profil findet. Gestern noch viele Gewissheiten, heute Neuorientierung auf fast allen Feldern der Politik. Und eine ausgedünnte Spitze. Die Partei bräuchte einen Hoffnungsträger mit Perspektive für 2009. Einen, der ihr das Gefühl gibt, aus dieser Situation wieder herauszukommen. Becks Strahlkraft aber ist jenseits der rheinland-pfälzischen Grenzen gering, sein Neuigkeitswert überschaubar. Das spannende Duell Merkel - Platzeck, die Entscheidung zwischen zwei jungen, ostdeutschen Pragmatikern, fällt 2009 aus. Neben allem anderen wird die SPD auch noch eine Kanzlerkandidaten-Debatte bekommen. Sie wird weitere Kräfte binden. Angela Merkel hat Platzecks Rücktritt gestern mit ehrlichem Bedauern und Respekt kommentiert. Es dürfte ihr nicht sehr schwer gefallen sein.
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