Westdeutsche Zeitung: Der inszenierte und der wirkliche Skandal = Von Eberhard Fehre
Geschrieben am 03-06-2007 |
Düsseldorf (ots) - Wir waren uns ja alle einig. Die im niederländischen Fernsehen angekündigte Show, in deren makabren Rahmen eine Todkranke ihre beiden Nieren unter drei ebenfalls Todgeweihten gleichsam versteigern wollte, schien schlimmer als alles, was bisher in diesem an Geschmacklosigkeiten gewiss nicht armen Medium gezeigt wurde. Vom Verlust der Scham war die Rede, die Angst vor dem Tod als Quotenbringer, im Wortsinn ein Spiel um Leben und Tod, kalkuliert und instrumentalisiert, alle ethischen Grenzen sprengend.
Und obwohl die Umfragen im Vorfeld glauben machen wollten, über 90 Prozent unserer Mitbürger lehnten dieses gruselige Spektakel mit Empörung ab, hatte die Sendung selbst eine der höchsten Zuschauerquoten der niederländischen TV-Geschichte. Mehr als jedes Länderspiel der gewiss nicht unpopulären Kicker in Oranje. Diejenigen, die vor den Schirmen saßen, erlebten alles so, wie im Vorfeld beschrieben. Und zugleich war alles aber auch ganz anders - ein Bluff. War unsere reflexhafte Empörung vielleicht nicht doch zu billig?
Am Tag danach stehe ich zumindest etwas hilflos vor diesem Widerspruch. Viele der besonders lautstark empörten Politiker bleiben auch nach der Sendung bei ihrem Urteil, der Zweck heilige nicht die verabscheuungswürdigen Mittel und mit "sachlicher Information" sei dem Anliegen viel besser gedient. Die Tatsachen sprechen indes eine etwas andere Sprache: Tausende forderten während der Sendung Formulare zur Organspende an, die EU setzte das Thema plötzlich ganz vorn auf ihre Tagesordnung, und selbst die bayerische Landesregierung zieht nun eine Initiative in Erwägung, die auf eine gesetzliche Widerspruchslösung abzielt.
Warum, die Frage drängt sich auf, reagiert unsere Gesellschaft nicht auf die "sachliche Information"? Warum brauchen wir den gezielten Tabu-Bruch, über den sich dann alle so schrecklich empören, damit überhaupt etwas passiert? Natürlich: Es bleibt der kalkulierte Kitzel angesichts des Schreckens vor dem Tod, es bleibt das Spiel auf der Klaviatur elementarer Gefühle. Aber in welcher Welt leben wir, die den inszenierten Skandal braucht, um den wirklichen Skandal - das Fehlen vieler Tausender Spenderorgane - überhaupt zur Kenntnis zu nehmen?
Originaltext: Westdeutsche Zeitung Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=62556 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_62556.rss2
Pressekontakt: Westdeutsche Zeitung Nachrichtenredaktion Telefon: 0211 / 8382-2358 redaktion.nachrichten@westdeutsche-zeitung.de
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