WAZ: Was vom EU-Gipfel bleibt: Unter der dunklen Wolke - Leitartikel von Knut Pries
Geschrieben am 24-06-2007 |
Essen (ots) - Zwei Entscheidungen des EU-Gipfels verdienen uneingeschränktes Lob. Der "freie und unverfälschte Wettbewerb" rangiert nicht mehr gleichrangig neben Werten wie Frieden, Freiheit, Sicherheit, Vollbeschäftigung, Solidarität, Umweltqualität und kulturelle Vielfalt als eines der Ziele der Union. Recht so. Wettbewerb ist ein vernünftiges Prinzip. Er ist aber nicht Zweck, sondern Mittel - eine humane Einsicht. Und: Es gab kein Abschiedsgeschenk für den Briten Blair. Das ist nicht sehr stilvoll, aber angemessen. Blair hat sein Versprechen, das Königreich "im Herzen Europas" anzusiedeln, nicht wahrgemacht. Es ist immer noch mehr Störenfried als treibende Kraft.
Davon abgesehen ist das Bild sehr gemischt. Zwar bekommt die Union mit dem "Reform-Vertrag" eine brauchbarere Geschäftsordnung. Doch die fällt weit hinter das zurück, was mit der Verfassung möglich gewesen wäre. Von ihr blieb ein seelenloses Sammelsurium geänderter Paragrafen. Die Verheißung, das europäische Grundrecht für alle verständlich und plausibel zu machen, blieb auf der Strecke.
In der Summe ist die Bilanz dennoch positiv. Angela Merkel hat einem Kollegium aus national-populistisch agierenden, bäng-lichen oder vernunftfernen Führungskräften eine Einigung abgetrotzt. Gegenüber dem Nizza-Vertrag bringt diese klare Verbesserungen: Die Union wird ein eigenständiger Akteur auf der internationalen Bühne, das Parlament kann seine Kontrollfunktion in Bereichen ausüben, die bisher Kungel-Domäne der Regierungen waren.
Die Mängel sind freilich massiv und hässlich: "Gemeinsame" Grundrechte, auf die sich in Großbritannien keiner berufen kann, komplizierte Ausnahmen und Verfahren, eine Verschiebung der vereinfachten und demokratischeren Abstimmungsregel und vor allem der prinzipielle Verzicht auf den Qualitätssprung zur Verfassung. Deren Freunde sind seit den gescheiterten Referen-den in Frankreich und den Niederlanden aus der Defensive nie herausgekommen.
Das Gesetz des Handelns diktierten die Bedenkenträger. Die Erfahrung spricht aber dafür, dass die Befürworter einer weiteren Integration am Ende mehr Hebel zur Beförderung ihrer Sache in der Hand haben, als den Kaczynskis, Blairs und Balkenendes lieb sein kann. Was daraus wird, hängt davon ab, ob der fatale Trend umgekehrt werden kann, nationale Interessen als das zu definieren, was man "Europa" abhandelt. Dieser Ungeist hat in Brüssel die Einigung letztlich nicht verhindert. Als dunkle Wolke wabert er weiter über Europa.
Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=55903 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_55903.rss2
Pressekontakt: Rückfragen bitte an: Westdeutsche Allgemeine Zeitung Zentralredaktion Telefon: (0201) 804-8975 zentralredaktion@waz.de
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
77995
weitere Artikel:
- LVZ: zu EU-Gipfel Kein gemeinsames Haus Von Gerd Niewerth Leipzig (ots) - Die Geschichte des Einigungswerkes ist reich an schmalspurigen Übereinkünften, die sich erschöpfte Regierungschefs in zermürbenden Verhandlungen abgerungen haben. Europa, die stotternde Kompromissmaschine. In diese Tradition reiht sich auch der Verfassungsgipfel ein. Die Union hat wieder einmal einen Schritt nach vorn gemacht hat, wenn auch nur einen kleinen. Immerhin stehen Fahrplan und Eckpfeiler eines Grundlagen-Vertrages nun fest. Der neue EU-Präsident und der aufgewertete EU-Chefdiplomat zählen zu den Pluspunkten. mehr...
- Westfalenpost: Beck ist wieder da Starke Worte - für sich und die Partei Hagen (ots) - Von Bodo Zapp Die SPD müsste das Schlimmste hinter sich haben. Während der sechs Monate EU-Präsidentschaft konnte sich die CDU im Glanz der allgemeinen Anerkennung für Kanzlerin Merkel sonnen. Nicht zuletzt deshalb sanken die Umfragewerte der im Schatten stehenden Sozialdemokraten auf beschämende 24 Prozent. Jetzt muss die CDU-Chefin wieder in die Niederungen des innenpolitischen Alltags hinabsteigen, die Sympathiekarten werden neu gemischt. Auch die mediale Dauerpräsenz der neuen Partei "Die Linke" schlug den Genossen mehr...
- Rheinische Post: Merkel, die Gipfelstürmerin Düsseldorf (ots) - Von Anja Ingenrieth Mission erfüllt: Politik als Kunst des Möglichen - die Methode Merkel hat wieder einmal funktioniert. Ultrapragmatisch entschied sich die Ratsvorsitzende im Streit um einen Grundlagen-Vertrag für das Machbare statt mit dem Wünschenswerten zu scheitern. Genau das war für die Berliner Kanzlerin kleiner Schritte der Schlüssel zum großen Erfolg als Europas Reform-Retterin. Hinzu kamen Strategie und eine kluge Gipfel-Regie: Merkel fand die richtige Mischung zwischen verhandeln und führen - agierte mehr...
- Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) kommentiert zum Brüsseler EU-Gipfel: Bielefeld (ots) - Nach 36 Stunden Beratungen, Kompromissangeboten, Vermittlungsversuchen und Vetodrohungen hat der EU-Gipfel doch noch die Grundlage für die überfällige Reform der EU-Institutionen geschaffen. Damit sind die Jahre der Erstarrung und Resignation in der Europäischen Union nach dem Nein der Franzosen und Niederländer zum Verfassungsprojekt überwunden. Diese Einigung ist zweifellos ein Erfolg für Bundeskanzlerin Angela Merkel, die es verstanden hat, das Kompromisspapier für alle 27 Staaten zustimmungsfähig zu machen. Aber um mehr...
- Rheinische Post: Wieder Vogelgrippe Düsseldorf (ots) - Von Detlev Hüwel Die Bilder von Plastiktüten mit schlappen Vogelkadavern wurden nur allzu schnell vergessen - oder verdrängt. Jetzt plötzlich meldet sich die Vogelgrippe in Deutschland zurück. Diesmal kommen die Bilder nicht aus dem Norden Deutschlands, sondern aus dem Süden der Republik. Wie viele Tiere in Nürnberg mit dem gefährlichen Erreger H5N1 befallen sind, steht noch nicht fest. Ebenso wenig weiß man, wo und auf welche Weise sich die Wildvögel infiziert haben. Zu Überreaktionen, geschweige denn Hysterie besteht mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|