27.11.2005 - In der Göttinger Lokhalle kamen gestern 2300 Besitzer von Schrottimmobilien zusammen, um von Rechtsexperten und Verbraucherschützern über die Folgen des EuGH- Urteils vom 25.10.2005 informiert zu werden.
Nach Übereinstimmung der Referenten stellten die neuen Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) einen Durchbruch für die getäuschten Anleger in dem seit langer Zeit fortwährenden Rechtsstreit um sog. Schrottimmobilien dar. 'Der EuGH hat darin den Gesetzgeber und die Gerichte aufgefordert, die Verbraucher zu schützen, die ihre Darlehen als Haustürgeschäft abgeschlossen haben und über das dann bestehende Widerrufsrecht nicht informiert wurden', so Rechtsanwalt Eberhard Ahr (Bremen). Die immer wieder auch im Wege des Prozessbetruges bestrittenen Kooperationen zwischen Strukturvertrieben und Kreditinstituten konnte Rechtsanwalt Dr. Reiner Fuellmich (Göttingen) anhand exemplarischer Beweise und Beispiele widerlegen.
Jörn Sack als ehemaliger Rechtsberater der EU-Kommission in deren juristischen Dienst zeichnete den Weg von der sog. Heininger Entscheidung des EuGH im Jahre 2001 bis zum aktuellen Urteil nach. Der EuGH sei weiter gegangen als der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen. Er habe auf der Grundlage einer wenig perfekten Richtlinie in einer rechtspolitisch heiklen Situation dem Verbraucherschutz unter den gegebenen Umständen maximal Rechnung getragen. Sack sah hierin eine unmissverständliche Botschaft an den BGH, seine Rechtsprechung zu korrigieren.
Über die Anwendbarkeit der neuen EuGH Entscheidung auf betrügerische Immobilienfonds informierten die Rechtsanwälte Steffen Gründig (Leipzig) und Hans-Ulrich Feck (Dortmund). Feck stellte die Frage, ob 'Menschen, die Steuern legal und de facto auf Anraten des Staates sparten, Menschen zweiter Klasse seien und forderte ein Ende des Zweiklassenjustiz, die Banken alles und ihren Kunden fast nichts erlaube.
Als Vertreter der Geschädigten und Moderator der Versammlung forderte Gerhard Renner (Internetinitative www.immobetrug.de) ein Ende der gezielten Benachteiligung der geschädigten Bankkunden vor deutschen Gerichten. 'Es kann nicht sein, dass der Anspruch der Verbraucher auf ehrliche Kreditvergabe bei privater Altersvorsorge auf dem Altar vermeintlicher Wirtschaftsinteressen des Finanzplatzes Deutschland geopfert und Hunderttausende getäuschter Kunden ihrem Schicksal überlassen werden'! Renner forderte die Politik auf, die seit über 15 Jahren andauernden betrügerischen Geschäfte mit Schrottimmobilien zu unterbinden. Bei 30 Mrd Euro jährlichen Schäden am sog. Grauen Kapitalmarkt sei es ein Skandal, dass Gesetzgebung und Rechtsprechung die Opfer im Stich ließen und die Täter sogar belohnt würden, in dem sie die unrechtmäßig erworbenen Gewinne behalten und ihre menschenverachtenden Geschäfte weiter betreiben dürften. An die deutschen Gerichte appellierte Renner, den Geschädigten von Kreditinstituten und Vertrieben endlich den Glauben in einen zum Schutze der Bürger funktionierenden Rechtsstaat wiederzugeben.
Rechtsanwalt Jochen Resch (Berlin) informierte über den Stand der juristischen Auseinandersetzungen mit den Firmen Köllner und Allwo bzw, der BADENIA Bausparkasse. Die Tendenz der Rechtssprechung deute darauf hin, dass sich das Blatt zu Gunsten der sich von diesen Unternehmen als getäuscht gesehenen Kunden wende.
Rechtsanwalt Dr. Julius Reiter aus Düsseldorf verlas ein Grußwort von Bundesinnenminister a.D. Gerhart Rudolf Baum, der den Opfern von Schrottimmobilien Mut machte, dass es nach den EuGH Urteilen berechtigte Hoffnung auf eine Generalinventur der verbraucherfeindlichen Bankrechtsprechung des XI. BGH Senats gäbe. Es sei unerträglich, dass Gesetzgeber und Rechtssprechung in Deutschland 4 Jahre nach dem sog. Heininger-Urteil vom EuGH erneut aufgefordert werden mussten, sich an europäische Rechtsstandards beim Verbrauchschutz zu halten. Der Entwurf der neuen EU-Verbraucherkreditrichtlinie sei weitgehend durch lobbyistische Einflüsse zum Nachteile der Verbraucher verwässert worden, was einen wirklichen und nachhaltigen Verbraucherschutz verhindere, erläuterte Dr. Reiter. Gerade vor dem Hintergrund der politisch eingeforderten Aufforderung der Bürger zu privater Altersvorsorge sei die Aufklärungspflichten der Kreditinstitute und Versicherungen erheblich zu Gunsten der in der Regel unerfahrenen Verbraucher auszuweiten. Die Kreditinstitute müssten zu einer unbedingt verantwortungsvollen Kreditvergabe verpflichtet werden. Die Verbraucherkreditrichtlinie sehe auch vor, dass Banken Verbrauchern mit schlechter Bonität sehr hohe Zinsen aufbürden dürften. 'Es kann nicht Sinn einer europäischen Verbraucherkreditrichtlinie sein, dass Kreditinstitute bei den Ärmsten der Gesellschaft vollkommen legal Wucherzinsen kassieren dürfen', so Dr. Reiter.
Von einer weiteren Ohrfeige für die als viel zu bankenfreundlich empfundene Rechtssprechung des XI. BGH Senates sprach Prof. Dr. Karl Joachim Schmelz. Der EuGH habe klargestellt, dass es ihm um richtlinien-konforme Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts gehe. Man könne die Ausführungen des EuGH auch als 'Nachhilfestunde für den XI. BGH-Zivilsenat in Rechtsmethodik und -dogmatik' beschreiben.
Professor Dr. Hans See von der Verbraucherinitiative ‚Business Crime Control’ (BCC) kritisierte, dass von Gerichten und Politikern immer auf Banken Rücksicht genommen werde, weil man sonst dem Wirtschaftsstandort Deutschland schade. See warnte vor solchen Entwicklungen bei der Rechtsfindung. Mit dieser Begründung könne man auch gleich die Demokratie abschaffen, wenn Parlamente einmal Gesetze gegen Wirtschaftskriminalität erließen.
Frank Schmall (Frankfurt) begeisterte die Versammlung mit seinen Beispielen öffentlichen Protestes gegen die Deutsche Bank, den er mit beschrifteten Autos und Fahrrädern direkt vor die Bankfilialen trägt. Er forderte die Geschädigten auf, sich nicht länger vor den Banken zu ducken sondern offensiv gegen skandalöse Geschäftsmethoden deutscher Kreditinstitute vorzugehen, die mit Anstand und Moral bei verantwortungsvoller Kreditvergabe nichts mehr zu tun hätten. 'Stellen Sie der Bank Ihre Botschaft direkt vor die Tür. Zeigen Sie der Bank und anderen Menschen, was Sie von rüden Methoden im Kreditgeschäft halten!'
Zum Ende der Versammlung sprach Klaus Schüller als Vater von Anja Schüller, die 2004 nach eingeleiteten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen der BADENIA Bausparkasse Selbstmord beging. In einer bewegenden Rede sprach Schüller den Opfern von Schrottimmobilien Mut zu, nicht aufzugeben und sich gegen Banken zu wehren, die nur noch grenzenlose Profite und nicht mehr die Interessen ihrer eigenen Kunden sehen würden. Zudem forderte er die betroffenen Kreditinstitute auf, die oft verzweifelten Menschen endlich aus der Immobilienfalle zu erlösen, in die sie mit Hilfe und Wissen der Banken ahnungslos geraten seien. Dem Vorstand der BADENIA warf er Pietätlosigkeit vor, weil er versuchen würde, in einer öffentlichen Kampagne die Verantwortung für den Tod seiner Tochter auf ihre Anwälte zu schieben. Er habe sämtliche Unterlagen geprüft und sehe die Alleinschuld weiter bei der BADENIA. Klaus Schüller kündigte an, eine Anja-Schüller-Stiftung zu gründen, die sich für Suizidgefährdete Opfer betrügerischer Finanzdienstleister einsetzt.
Weiterer Pressebericht zu der Versammlung über dpa: