"AMNOG gefährdet die Arzneimittelrabattverträge" / AOK, Wissenschaft und Patientenorganisation lehnen Mehrkostenregelung ab
Geschrieben am 23-09-2010 |
Berlin (ots) - Die AOK hat vor einer "kalten Aushöhlung" der
Arzneimittelrabattverträge gewarnt. "Wenn die Bundesregierung die im
Arzneimittel-Neuordnungsgesetz (AMNOG) vorgesehenen Änderungen zu den
Rabattverträgen durchzieht, gefährdet sie auf unabsehbare Zeit das
bisher effektivste Instrument der Krankenkassen zur Kostensteuerung",
sagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der AOK
Baden-Württemberg und Verhandlungsführer für die bundesweiten
AOK-Rabattverträge, Dr. Christopher Hermann, am Donnerstag
(23.09.2010) in Berlin.
"Wir brauchen das Erfolgsmodell Rabattverträge dringend, um weiter
ohne Zusatzbeiträge auszukommen", betonte Hermann. "Das AOK-System
hat das 1. Halbjahr 2010 noch mit einem positiven Ergebnis von fast
200 Millionen Euro abgeschlossen. Dieser Überschuss konnte nur durch
die Rabattverträge erreicht werden. Allein im laufenden Jahr sparen
wir dank der Arzneimittelverträge mehr als eine halbe Milliarde Euro.
Im kommenden Jahr stehen für die AOKs bereits 720 Millionen Euro auf
dem Spiel."
Hermann kritisierte die geplante Mehrkostenregelung als
Mogelpackung: "Wer sich für Qualität und Wahlfreiheit einsetzt, hat
die AOK an seiner Seite. Die Möglichkeit für Patienten, gegen
Aufpreis und teilweise Kostenerstattung ein anderes Medikament als
das Vertragsprodukt der Krankenkasse zu bekommen, untergräbt aber vor
allem die Wirkung der Rabattverträge. Und sie ist eine Abkehr vom
bewährten Sachleistungsprinzip. Dadurch werden für Patienten bei
lebenswichtigen Arzneimitteln leicht Zusatzkosten von hundert Euro
oder noch darüber pro Verordnung erreicht, ohne jeden zusätzlichen
medizinischen Nutzen."
"Kostenerstattung intransparent und riskant"
Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe e.V. lehnt die
Mehrkostenregelung ab. Ihr Bundesgeschäftsführer Dr. Martin Danner
betonte in Berlin, es gehe um verschreibungspflichtige Medikamente,
deren Verordnung und Verabreichung aus gutem Grund ärztlichem und
pharmazeutischem Vorbehalt unterliege. Die Kostenerstattung sei für
Patienten intransparent und riskant: "Die Aufzahlungsverpflichtung
für `Wunschpräparate´ kann zu dem unzutreffenden Eindruck führen,
dass aufzahlungsfreie Medikamente nicht so gut seien. Dies ist
irreführend." Danner bezeichnete die im AMNOG vorgesehenen Regelungen
als Rückschritt für die Betroffenen. Wenn die Vereinbarungen von
Krankenkassen mit Herstellern über Qualität, Wirtschaftlichkeit und
Versorgungssicherheit zurückgedrängt würden, stehe der einzelne
Patient wieder einer angebotsbestimmten Leistungs- und
Kostenausweitung gegenüber.
Eine dem Kartellrecht geschuldete Zersplitterung der
Rabattvertragslandschaft durch Ausschreibungen in kleinen
Gebietslosen lehnt die Patientenorganisation ab. "Sie würde nicht nur
zu einer noch größeren Unübersichtlichkeit des Versorgungsgeschehens
führen, sondern sicherlich auch zu Schwierigkeiten für die
Bevorratung von Arzneimitteln durch die Apotheken", sagte Danner. Es
könne nicht im Interesse der Patienten sein, "dass ein etabliertes
System der Nutzenbewertung und Kostenbegrenzung aufgegeben wird, ohne
dass ein zumindest gleich effizientes System an dessen Stelle tritt."
Auch der Medizinrechtler Prof. Alexander Ehlers kritisiert die
Mehrkostenregelung. "Die Übernahme von Mehrkosten durch die
Versicherten würde dazu führen, dass der Abschluss wirtschaftlicher
Rabattverträge erschwert, wenn nicht verhindert würde", heißt es in
seinem am Donnerstag vorgestellten Gutachten zu konkreten
Auswirkungen des AMNOG. Ehlers: "Rabattverträge sind vom Gesetzgeber
nach und nach zu einem wirksamen wettbewerblichen Instrument
entwickelt worden. Derzeit ist gewährleistet, dass die Versicherten
in der Apotheke tatsächlich das Vertragsprodukt ihrer Krankenkasse
erhalten. Durch eine Mehrkostenregelung sinkt für die
Pharmaunternehmen der Anreiz, sich an Ausschreibungen zu beteiligen."
Ehlers problematisiert auch den erheblichen Verwaltungsaufwand der
Krankenkassen, um den Versicherten im Einzelfall Kosten zu erstatten.
Da die tatsächlichen Rabatte den Apothekern nicht bekannt sind,
sollen Krankenkassen zur Berechnung der Mehrkosten pauschale
Rabattwerte ansetzen. Die praktische Umsetzung bezeichnete Ehlers als
"objektiv unmöglich". Sie setze eine Homogenität bei
Arzneimittelpreisen, Rabatten und Rabattverträgen voraus, die in
keiner Weise gegeben und auch nicht darstellbar sei.
Krankenkassen sind keine Privatunternehmen
Gegen die mit dem AMNOG vorgesehene vollständige Anwendung des
Kartellrechtes auf die gesetzlichen Krankenkassen bestehen nach
Ansicht von Ehlers durchgreifende rechtliche Bedenken. "Krankenkassen
sind nach gefestigter Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes
keine Unternehmen im europarechtlichen Sinn. Für sie gilt deshalb
auch nicht das EU Kartellrecht. Weil das Gemeinschaftsrecht Vorrang
hat, können sie auch nicht einfach vom deutschen Gesetzgeber
einseitig dem nationalen Kartellrecht unterworfen werden." Der
Medizinrechtler kommt damit zum gleichen Urteil wie der
Kartellrechtler Prof. Rainer Bechtold in seinem Gutachten für den
AOK-Bundesverband.
Gesetzlichen Krankenkassen würde es zudem kaum mehr möglich sein,
ihrem besonderen Versorgungsauftrag nachzukommen. Ehlers: "Die
vollständige Anwendung des Kartellrechts kollidiert mit dem vom
Kooperationsgedanken geprägten GKV-System. Kostendämpfungsinstrumente
wie die Arzneimittelrabattverträge würden ihre Effizienz einbüßen und
letztlich wirkungslos."
"Arzneimittelrabattverträge wirken deregulierend"
Der Ökonom und Vorsitzende des Sachverständigenrats für das
Gesundheitswesen, Prof. Eberhard Wille, sprach sich auf der gleichen
Veranstaltung in Berlin dafür aus, Überregulierung im
GKV-Arzneimittelmarkt abzubauen. Im Gegensatz zu den inzwischen rund
25 Instrumenten zur Ausgabensteuerung wirkten die
Arzneimittelrabattverträge jedoch deregulierend, so Wille, "da sie
Aktivitäten der pharmazeutischen Unternehmen tendenziell von der
Ebene der Ärzte und Apotheker auf die der finanzierenden
Krankenkassen verlagern."
Durch die Parallelität von Vergabe- und Wettbewerbs- bzw.
Kartellrecht, wie sie die Bundesregierung jetzt im AMNOG plane, drohe
ausgerechnet den ökonomisch sehr erfolgreichen
Arzneimittelrabattverträgen eine ihren Erfolg gefährdende
Überregulierung, warnte der Gesundheitsökonom. Hochgerechnet auf die
GKV erwartet Wille 2010 rund eine Milliarde Euro an Einsparungen
durch die Rabattverträge: "Das entspricht gut einem
Zehntel-Beitragssatzpunkt." Da es sich bei den von Rabattverträgen
betroffenen Medikamenten um therapeutisch substituierbare
Arzneimittel handele, so Prof. Wille, "gehen die Minderausgaben mit
keinerlei Abstrichen an der Versorgungsqualität einher."
Hinweis an die Redaktionen:
Die Pressemappe ist in Kürze unter www.aok-presse.de abrufbar.
Originaltext: AOK-Bundesverband
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/8697
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Pressekontakt:
Gabriele Hauser-Allgaier · stellv. Pressesprecherin
AOK-Bundesverband · Rosenthaler Straße 31 | 10178 Berlin
Telefon: 030 34646-2312 | presse@bv.aok.de
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