BERLINER MORGENPOST: Ein kleiner Schritt auf einem langen Weg, Susanne Leinemann über die neue Pisa-Studie, Berliner Reformwut und genervte Eltern
Geschrieben am 07-12-2010 |
Berlin (ots) - Deutschland ist Mittelmaß, sagt Pisa. Mittelmaß -
normalerweise wäre das für Politiker keine frohe Botschaft. Doch
gestern, als die neue Pisa-Studie vorgestellt wurde, wirkten sie
sichtbar erleichtert - Bildungsministerin Annette Schavan und Ludwig
Spaenle, Präsident der Kultusministerkonferenz. "Wir sind dem Ziel
ein großes Stück näher gekommen", verkündete Schavan. Was aber ist
das Ziel, was sollte es sein? Eine Schule, die Deutschlands Anspruch
genügt. Dem Land der Dichter und Denker - und mehr noch der
Ingenieure, Forscher und genialen Maschinenbauer. Die Freude der
Politik über die jetzt erreichte Mittelmaßposition in der Bildung
zeigt nur eines: Wie schlimm die Zustände an Deutschlands Schulen im
Jahr 2000 noch waren. Jenes Jahr hatte die erste Pisa-Studie
untersucht - kurz danach erfasste die Deutschen der Pisa-Schock.
Seitdem ist viel passiert. Gerade in Berlin hat sich die Reformwut
ausgetobt. Dudendicke Sprachlerntagebücher in den Kitas, ultrafrühes
Einschulen, jahrgangsübergreifendes Lernen, die Abschaffung der
Hauptschule und die Einführung der Gemeinschaftsschule. Manches
nervte, nicht alles gelang. Manchmal hatten Eltern den Verdacht, ihr
Kind werde als Versuchskaninchen auf dem hochideologischen Feld der
Berliner Bildungspolitik missbraucht. Davon, wie es vielen Kindern
erging, die, gerade fünf Jahre alt, in die Schule gezwungen wurden,
obwohl sie viel lieber noch gespielt hätten, ganz zu schweigen. Doch
heute ist nicht der Tag zu meckern - einiges hat tatsächlich Wirkung
gezeigt, der deutsche Trend deutet leicht nach oben. Immerhin. Das
liegt vor allem daran, dass die Gruppe der ganz Schwachen schrumpfte.
Hier hat gezieltes Fördern nachgeholfen. Gerade Kinder von
Zuwanderern haben ihre Leseleistung verbessert. Trotzdem lesen noch
immer viel zu viele 15-Jährige nicht besser als Grundschüler. Die
neue große Problemgruppe heißt: die Jungs. Ihre Lesefähigkeit hinkt
der gleichaltriger Mädchen klar hinterher. Ein Befund, der
Familienministerin Kristina Schröder wenig überraschen wird. Sie hat
sich für ihre Amtszeit auf die Fahnen geschrieben, Jungen besser zu
fördern. Denn in den mathematischen und naturwissenschaftlichen
Fächern zeigen die Jungs: Blöd sind sie nicht. Hier liegen deutsche
Schüler in ihren Leistungen inzwischen über dem internationalen
Durchschnitt, auch dank starker Jungen. Die Mädchen schneiden in
diesem Bereich nicht so gut ab. Hier gilt es, sie zu unterstützen.
Was das alles heißt? Ab jetzt muss breit gefördert werden. Zehn Jahre
lang vorrangig Migrantenkinder zu unterstützen war richtig. Doch auch
die Kinder aus deutschen Unterschichtfamilien straucheln. Sie alle
brauchen Schule - je mehr, desto besser. Ganztagsschulen sind gerade
in den Stadtvierteln, wo Familien oft versagen, ein Rettungsanker.
Wenn schon die Eltern nie mit ihren Kindern ein Museum, ein Konzert,
einen Wald betreten, dann eben eine Lehrerin oder ein Lehrer. Das ist
der richtige Weg. Er ist eben nur noch sehr, sehr lang. Was aber am
Ende die deutschen Schulen retten wird, ist eine schlichte Tatsache:
Wir brauchen endlich wieder gut ausgebildete Arbeitskräfte. Dieses
Land kann es sich schlicht nicht mehr leisten, fast ein Viertel jeder
neuen Generation versumpfen zu lassen.
Originaltext: BERLINER MORGENPOST
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BERLINER MORGENPOST
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