HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandspresse, Hamburger Abendblatt zu Bin Laden
Geschrieben am 08-05-2011 |
Hamburg (ots) - Ein Kommentar von Thomas Frankenfeld
Im Frühjahr 1961 beobachtete die jüdische Gelehrte Hannah Arendt,
geboren in Hannover, zwangsemigriert in die USA, als Reporterin in
Israel den Prozess gegen Adolf Eichmann, den Organisator des
millionenfachen Mordes an den Juden während der NS-Zeit. Angesichts
der unfassbaren Verbrechen hatte sie erwartet, mit einem diabolischen
Monstrum konfrontiert zu werden - doch sie fand nur eine erbärmliche,
kleinkarierte Gestalt, die eifrig jede Schuld leugnete. Unter diesem
Eindruck prägte Arendt den nicht unumstrittenen Begriff von der
"Banalität des Bösen". Seitdem die US-Regierung einige der auf dem
Anwesen des erschossenen Al-Qaida-Führers Osama Bin Laden gefundene
Videoclips veröffentlich hat, ist dieser sperrige Begriff wieder
aktuell. Fast ein Jahrzehnt lang, seit den Massenmorden vom 11.
September 2001, hatte Amerika den "gefährlichsten Mann der Welt"
gejagt, an dessen Händen das Blut Tausender Unschuldiger haftete. Auf
Propagandavideos von al-Qaida wirkte der bärtige Asket Osama Bin
Laden wie eine alttestamentarische Rachegestalt, mit kaltem
Vernichtungswillen von einem Berg herabsteigend. Die Bilder aus
seinem Haus in Abbottabad zeigen etwas ganz anderes. Da sitzt ein
fröstelnder Greis im weichen Sessel vor einem betagten Fernseher, in
eine Decke gehüllt, ein Strickmützchen auf dem Kopf und zappt sich
mit einer Fernbedienung durch die eigenen Videoclips. Der Fürst der
Finsternis, dessen Schatten sich über die Welt legte, schrumpft
plötzlich zu einem geruhsam wippenden, eitlen Zausel in einer
schäbigen Behausung. Es ist das Ende eines Mythos. Weniger gefährlich
war der spirituelle Kopf des Terrornetzes deswegen nicht. Doch es
zeigt sich, dass Osama Bin Laden keineswegs eine dämonische,
charismatische Figur von shakespearescher Wucht war, kein Macbeth
oder Richard III. Geradezu verzweifelt versuchte der Nierenkranke,
auf seinen späteren Videobotschaften den Eindruck dynamischer
Führungskraft vorzugaukeln, indem er sich das bleiche Gesicht
schminken und den eisgrauen Bart färben ließ. Die von Washington sehr
bewusst freigegebenen Bilder könnten sich für al-Qaida und ihre
Rekrutierungskampagne am Ende noch verheerender auswirken als der
physische Tod ihrer Symbolgestalt selber. Jeder vermag nun zu sehen,
dass nichts Heroisches an diesem Mann war, der aus seinem Versteck
heraus so vielen Menschen den Tod brachte. Am Ende fand sich auch
hier nur die Banalität des Bösen.
Pressekontakt:
HAMBURGER ABENDBLATT
Ressortleiter Meinung
Dr. Christoph Rind
Telefon: +49 40 347 234 57
Fax: +49 40 347 261 10
christoph.rind@abendblatt.de meinung@abendblatt.de
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