Börsen-Zeitung: Globale Verunsicherung, Marktkommentar von Thorsten Kramer
Geschrieben am 29-07-2011 |
Frankfurt (ots) - Es gibt dieser Tage immer noch Optimisten, die
glauben, dass die Folgen des Streits um die Schuldenobergrenze in den
Vereinigten Staaten glimpflich bleiben werden. In der Mehrheit sind
diese Marktteilnehmer aber nicht. Spätestens nach dem Brandbrief der
amerikanischen Finanzelite an Präsident Barack Obama und den Kongress
sowie der ungewöhnlich scharfen Kritik Chinas, Amerikas größten
Gläubigers, sollte nun auch dem Letzten klar geworden sein, dass es
in den USA fünf vor zwölf ist, und zwar unabhängig davon, ob sich
Republikaner und Demokraten zusammenraufen oder nicht. Die
Staatsschulden der weltgrößten Volkswirtschaft summieren sich schon
bald auf unvorstellbare 15 Bill. Dollar, und die Winkelzüge und
politischen Spielereien in Washington haben angesichts dieser
Entwicklung enorm viel Vertrauen gekostet. Dies bleibt allerdings
nicht auf Amerika begrenzt: Weltweit ist deshalb an den Finanzmärkten
die Rede von einer enormen Verunsicherung.
Inzwischen gilt es vielen als sehr wahrscheinlich, dass die USA
zumindest bei einer der drei großen Ratingagenturen die
Top-Bonitätsnote "AAA" verlieren werden - mit dem Risiko, dass es zu
einer regelrechten Verkaufswelle am US-Anleihemarkt kommen kann. Ob
es dazu kommen wird, steht dahin. Allein die enorm kontroverse
Debatte darüber, die sich in den vielen unterschiedlichen Meinungen
von großen Investmentgesellschaften wie Fidelity Investments und
Janus Capital International vor dem Wochenende spiegelte, spricht in
jedem Fall aber für eines: Die Unsicherheit an den globalen
Finanzmärkten wird in den kommenden Wochen zunehmen, und dies rückt
in erster Linie verstärkt die Finanzmärkte der aufstrebenden Länder
in den Fokus, die sich gerade erst etwas von den starken
Mittelabflüssen im Frühjahr erholt hatten, vor allem in Fernost. Eine
insgesamt nachlassende Risikobereitschaft wirkt eben vor allem dort,
wo die Sicherheit (noch) nicht so ausgeprägt ist wie in (einigen)
etablierten Märkten.
Emerging Markets im Fokus
Es dürfte allerdings ein Fehler sein, sollten Investoren sich
komplett aus Schwellenländern zurückziehen. Sie verschenkten damit
gerade dort die Chance auf eine langfristig attraktive Rendite - und
die Chancen dürften sich verbessern, sollten die Kurse dort auf kurze
Sicht wegen der Entwicklung in den USA unter Verkaufsdruck geraten.
Abseits der großen Namen, die sich mit dem Marketing-Kürzel BRIC
zusammenfassen lassen, halten Ökonomen zurzeit beispielsweise ein
Engagement in Südkorea oder in Indonesien für interessant. Dort
sollte die Wirtschaft trotz einer global nachlassenden Dynamik auch
in den kommenden Jahren kräftig weiterwachsen, ebenso wie die
Firmengewinne. Indonesien besticht zudem durch eine sehr niedrige
Verschuldung in Höhe von etwa 25% des in den zurückliegenden Jahren
enorm gewachsenen Bruttoinlandsprodukts. Steigende Löhne und der
dadurch wachsende Konsum signalisieren, dass das Land zumindest für
die zweite Jahreshälfte über gute Perspektiven verfügt, zumal die
dortige Notenbank die Inflation recht gut in den Griff bekommen hat.
Mit Verweis auf die stark wachsende Bevölkerung und die damit
verbundenen Chancen für den privaten Konsum gehen Volkswirte zudem
längst davon aus, dass die überdurchschnittlichen Renditeaussichten
in Indonesien und anderen Ländern indes nicht nur für das zweite
Halbjahr gelten, sondern sehr langfristig darüber hinaus. Vor
negativen Überraschungen auch in den Schwellenländern sind Anleger
natürlich nicht gefeit, wie in der abgelaufenen Woche die unerwartet
starke Anhebung der Leitzinsen in Indien gezeigt hat.
Neben dem US-Schuldenstreit trägt zur globalen Verunsicherung nun
wieder zunehmend die Sorge über die Verfassung der US-Wirtschaft bei.
Der Konjunkturbericht der Federal Reserve lieferte bereits den Beleg,
dass sich zuletzt in acht Notenbankdistrikten die wirtschaftliche
Aktivität abgekühlt hat, und damit in doppelt so vielen wie einen
Monat zuvor.
Am Freitag schüttelte dann das US-Handelsministerium die Märkte
mit der Mitteilung durch, dass die Wirtschaft im zweiten Quartal
lediglich um 1,3% gewachsen sei und damit deutlich die Prognose von
1,8% verfehlte. Zudem korrigierte die Behörde die Wachstumszahl für
das erste Quartal von 1,9% auf nur noch 0,4% und für das
Schlussquartal 2010 von 3,1% auf 2,3% nach unten. Erste Kommentare
von Bankanalysten zu diesen Statistiken fielen ernüchternd aus.
Insbesondere vor dem Hintergrund des Schuldenstreits in den
Vereinigten Staaten dürften die Sorgen um den Zustand der
US-Wirtschaft nun zunehmen - mit entsprechenden Implikationen für
risikoreichere Anlageklassen.
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