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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Volkskrankheit Depression

Geschrieben am 30-09-2011

Bielefeld (ots) - Wenn etwa vier Millionen Menschen in einem Land
an einer behandlungsbedürftigen Depression leiden, ist es höchste
Zeit, dass die Gesellschaft die Notbremse zieht. Das Problem nicht
nur am achten Europäischen Depressionstag an diesem Samstag zu
benennen und nach jahrzehntelanger Ignoranz endlich ernst zu nehmen,
ist ein längst überfälliger Schritt. Es ist aber nur der erste. Etwas
in der Theorie zu erfassen, ist das eine. In der Praxis darauf zu
reagieren, ist etwas ganz anderes. Das passiert in Deutschland immer
noch nicht. Jeder spricht davon, dass die Gesellschaft von
Leistungsdruck geprägt ist. Jeder dritte Schüler leidet laut einer
Umfrage an depressiven Stimmungen. Immer mehr Menschen werden wegen
psychischer Erkrankungen in Kliniken behandelt. Die Zahl hat sich in
den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt. Jeder fünfte junge
Arbeitnehmer gibt in einer DAK-Umfrage den Job als Grund für
Depressionen an. Was ist die Konsequenz aus diesen Fakten? Alle
klagen über die dramatische Zunahme psychischer Erkrankungen. Der
etablierte Druck im Berufsleben wird aber nicht eingeschränkt. Der
einzelne Erkrankte muss sich einem einzementierten System aus
Profitsucht beugen. Doch es gibt auch positive Entwicklungen. Ärzte
erkennen heute schneller eine Depression und bieten im Idealfall
früher Therapiemöglichkeiten an. Das ist sicherlich auch ein Aspekt
der rasant steigenden Patienten-Zahl in den Statistiken. Früher blieb
das Leiden oft im Verborgenen. An dieser Stelle verbirgt sich aber
auch die größte Schwäche im System. Die Diagnose ist ein Bereich, die
Therapie der nächste zwingend erforderliche. Im Schnitt bekommt ein
Patient jedoch erst nach zwölf Wochen einen Termin. 1,5 Millionen
psychotherapeutische Behandlungsplätze stehen jährlich fünf Millionen
Patienten gegenüber, die nach Angaben der
Bundespsychotherapeutenkammer schwer psychisch erkranken - vom
Burnout-Syndrom über Depressionen bis hin zur Angststörung. Die
Richtlinie zum Bedarf an Therapieplätzen stammt aus den 90er Jahren -
völlig überholt. Hier muss nachjustiert werden. Umdenken müssen auch
die Arbeitgeber. Nur selten bieten sie Maßnahmen zur
Wiedereingliederung eines Mitarbeiters an, der wegen seiner
Depression ausgefallen ist. Es gibt auch viel zu wenig Angebote, die
es ermöglichen, während einer Behandlung im gewohnten Umfeld oder
berufstätig zu bleiben. Gleichzeitig ist der volkswirtschaftliche
Schaden durch Depressionen enorm. Er beträgt laut Gesundheitsreport
22 Milliarden Euro. Ein erkrankter Mitarbeiter leistet pro Tag eine
halbe bis zwei Stunden weniger als ein gesunder Kollege. Arbeitgeber
und -nehmer würden also von einer Reduzierung des Leistungsdrucks
profitieren. Wird hier nicht umgesteuert, wird der Stress im Beruf
die Deutschen weiter krank machen.



Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261


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