DER STANDARD-Kommentar "Protest ohne Widersacher" von András
Szigetvari
Geschrieben am 18-11-2011 |
"Occupy-Bewegung in Europa" - Ausgabe 19.11.2011
wien (ots) - Ein Protest, der sogar bei jenen auf Verständnis
stößt, gegen die er sich richtet, muss entkräften. Dieser Umstand
lässt sich gerade an der aus Amerika nach _Europa importierten
Occupy-Bewegung beobachten. Während die Gruppe mit ihrem Kampf um den
New Yorker _Zuccotti Park in den USA nach wie vor für Diskussionen
sorgt, ist es rund um die europäischen Occupy-Ableger still geworden.
Zu Massenprotesten kommt es kaum noch, die Camps in Frankfurt und
London leeren sich. Der Export der Bewegung nach Europa ist vorerst
gescheitert.
Das ist nicht die Schuld der Demonstranten, sondern ihrer Gegner.
Paradoxerweise ist "Occupy Europe" daran gescheitert, dass sie den
Nerv der Zeit zu gut getroffen hat.
Dabei schien das Terrain auf dem Kontinent perfekt für die
Protestbewegung geeignet zu sein. Wir fordern mehr politische
Mitsprache, mehr Kontrolle über die Finanzmärkte: Nirgends erscheinen
diese Rufe aus der Occupy-Szene angebrachter als in Europa, das
gerade droht an einer beispiellosen Schuldenkrise unterzugehen.
Doch da lag schon das Problem. Die Basis der Bewegung war so breit
aufgestellt, dass ihren Parolen niemand widersprechen wollte - oder
konnte. Selbst das verbliebene Prozent nicht. Von der deutschen
Kanzlerin Angela Merkel abwärts waren europäische Spitzenpolitiker,
ja selbst Banker, voller Lob für die Bewegung. Der Chef der
Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, ließ gleich ausrichten, die
Menschen "hätten ein Recht, empört zu sein."
Eine Bewegung, die keinen Reibebaum findet, erschlafft früher oder
später. Da liegt der Unterschied zwischen Europa und den USA: Mit der
erzkonservativen Tea Party hat Occupy Wall Street einen ideologischen
Gegner, an dem sie sich abarbeitet kann, der sie quasi konstruiert.
In Europa dagegen sind die wichtigsten Verlangen der Bewegung, wie
eine Finanztransaktionsteuer, längst Teil des Forderungskataloges der
bürgerlichen Mitte geworden. Selbst Ideen wie eine Reichensteuer sind
inzwischen in konservativen Milieus salonfähig.
Vielleicht sollten sich die europäischen Demonstranten auf die Suche
nach extravaganten Inhalten und Formen machen. Denn gerade in der
Krise braucht es eine kritische Öffentlichkeit, die an Tabus rüttelt.
_Einst galt der gesellschaftliche Tabubruch als revolutionär. Derzeit
muss man den Hut vor jenen ziehen, die noch eines entdecken, das
nicht schon Teil der Regierungsrhetorik geworden ist.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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