"DER STANDARD"-Kommentar: "Die Zeit der Predigten ist vorbei"
von Eric Frey
Geschrieben am 04-12-2011 |
Neue Budgetregeln können den Euro nicht retten, aber den Weg
für Hilfe ebnen - Ausgabe vom 5.12.2011
Wien (ots) - Eltern sind mit dem Problem gut vertraut: Wenn Kinder
aus eigenem Verschulden in Schwierigkeiten geraten, soll man
schimpfen oder helfen? Wohl stehen Eltern bei echten Gefahren ihren
Sprösslingen bei, aber meist wollen sie auch, dass diese etwas daraus
lernen und sich nicht daran gewöhnen, dass andere ihnen aus der
Patsche helfen.
Es ist dieses Dilemma, das den monatelangen Schlingerkurs der
deutsche Regierung in der Eurokrise erklärt. Angela Merkel spielt die
strenge Mutti, die ihren ungehorsamen Kindern in Südeuropa endlich
gutes Benehmen beibringen will.
Und das mit gutem Grund: Die Mischung aus ungebremsten
Staatsausgaben, überzogenen Lohnzuwächsen und steigender Verschuldung
hat nicht nur den "Club Med", sondern die gesamte Eurozone an den
Rand des Ruins gebracht. Hilfe ohne Verpflichtung zum Kurswechsel
wäre eine Einladung zum Weitermachen, der berüchtigte "moral hazard".
Aber das ewige deutsche Pochen auf eine bessere Budget- und
Wirtschaftspolitik, die Merkel mit einer strengen Fiskalunion in der
Eurozone gesichert sehen will, nützt in der jetzigen Lage nur wenig.
Selbst wenn es gelingt, die notwendigen Vertragsänderungen rasch
durchzudrücken, werden noch Monate vergehen, bis die neuen
Budgetregeln in Kraft sind. Und ob sie die erhoffte Wirkung
tatsächlich erzielen, wird man erst viele Jahre später wissen.
So lange hat die Eurozone nicht Zeit. Sie liegt blutend auf der
Straße - da sind elterliche Predigten über richtiges Verhalten im
Straßenverkehr fehl am Platz. Die Anleger in Euro-Staatsanleihen
haben in den vergangenen Wochen den Schuldnerstaaten das Vertrauen
entzogen - nicht, weil sich die wirtschaftliche Lage dieser Länder
geändert hat, sondern weil sie fürchten, dass auch andere Investoren
diesen Papieren nicht mehr vertrauen. Daher steigen die Zinsen, was
die Budgets weiter belastet. Und auch Sparprogramme verschärfen die
Krise, da ein Konjunktureinbruch die Schuldenberge nur weiter wachsen
lässt. Es ist ein klassischer "bank run", der die Staatsschulden von
Italien und Spanien, zuletzt sogar von Frankreich und Österreich
erfasst hat.
Selbst eine grundsätzliche Einigung auf eine der Varianten für
Eurobonds würde diese Krise nicht beenden. Denn auch dann bleiben
Zweifel, ob Länder wie Deutschland und Österreich für die Schulden
ihrer Partnerländer eintreten werden.
Letztlich ist es nur die Europäische Zentralbank, die als "lender of
last resort" durch den unbegrenzten Aufkauf von Staatsanleihen die
Panik beenden kann. Dass deutsche Volkswirte und Politiker - und
ihnen nachäffend auch Finanzministerin Maria Fekter - diesen Ausweg
mit dem Totschlagargument Inflationsgefahr so dezidiert ablehnen, ist
viel schlimmer als das breite Nein zu Eurobonds.
Ob die Ampel für die EZB auf Grün gestellt wird, ist die
entscheidende Frage beim heutigen Treffen zwischen Merkel und
Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy wie auch beim kommenden
EU-Gipfel. Vielleicht geben klare Zusagen für eine neue Fiskalunion
Merkel genügend innenpolitische Deckung, damit sie trotz der Skepsis
ihrer Landsleute Interventionen der EZB zulassen kann. Vor allem
Italiens Premier Mario Monti legt eine Tugendhaftigkeit an den Tag,
die selbst strenge Erzieher beeindrucken müsste. Die Standpauken
haben gewirkt - jetzt ist die Zeit zum Helfen gekommen.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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