DER STANDARD-Kommentar "Von der Euro- zur Europa-Krise" von Andreas
Schnauder
Geschrieben am 09-12-2011 |
"Merkozy" und Cameron riskieren die Spaltung, ohne eine
Alternative anzubieten /// Ausgabe vom 10./11.12.2011
Wien (ots) - Die Geschichte vom ungehorsamen Schüler, seiner
Zuchtmeisterin und ihrem Dackel konnte nicht gut ausgehen. David
Cameron hat seine Aufmüpfigkeit mit einer weitgehenden Isolation
Großbritanniens bezahlt. Angela Merkel hat ihr Ziel einer
EU-Vertragsänderung nicht erreicht und steht vor einem
europapolitischen Scherbenhaufen. Nicolas Sarkozy hat auftragsgemäß
für das Frauchen gebellt, ansonsten spielt die Grande Nation auf dem
EU-Parkett keine bedeutende Rolle.
Nach einem zweitägigen EU-Gipfel, der von den Europaspitzen selbst
pathetisch zum Schicksalstag oder zur letzten Chance für die
Währungsunion hochstilisiert wurde, bleibt vor allem der Eindruck,
dass viel Porzellan zerschlagen wurde. Manche orten sogar eine tiefe
Spaltung. War es das wert?
Nein. Großbritannien ist, auch wenn das viele nicht gerne hören
wollen, ein Kernland der Union. Wirtschaftlich voll integriert, in
Brüssel mit Top-Personal präsent und außenpolitisch ohnehin ein
Spitzenplayer, kann die Abnabelung Londons nur als schwerer Verlust
für Europa gewertet werden. Gewiss: Es war schäbig von Cameron, sich
in der Notsituation der Eurozone Extrawürste herauspressen zu wollen.
Doch: Jedes Land nervt Europa mit nationalen Sensibilitäten, daran
sollte insbesondere Österreich mit seiner Gentechnik- und
Atomkraft-Hysterie erinnert werden.
Wäre es wirklich um ein großes Projekt zur tieferen Integration der
Union gegangen, das London blockiert hätte, könnte man durchaus
argumentieren: Bevor sich die Mehrheit von einer Minderheit ständig
bremsen lässt, soll eine Avantgarde vorauseilen und die
Zusammenarbeit verstärken. Aber: Die nun beschlossenen Änderungen
sind alles andere als ein großer Wurf.
Unzweifelhaft dienen die Maßnahmen zur schärferen Haushaltskontrolle
zwar der notwendigen Erhöhung der Stabilität. Doch die Verbesserungen
wären auch ohne Vertragsänderungen machbar, der Konflikt mit London
somit vermeidbar gewesen. Es war ja ausgerechnet Sarkozy, der beim
Strandspaziergang mit Merkel in Deauville automatische Sanktionen
gegen Defizitsünder verhindert hatte und nun den Schwanz einziehen
musste. Dazu kommt, dass das Gerede von einer Fiskalunion völlig fehl
am Platz ist. Dazu gehörten nämlich eine zentrale Kompetenz für
Steuereinnahmen und Ausgaben, eine Steuerung der Löhne, eine
gemeinsame Beschäftigungs- und Sozialpolitik und vor allem: starke
Institutionen, mit einem deutlich aufgewerteten Parlament, einem
"Senat" als Länderkammer und einer Kommission als echter
EU-Regierung. Das alles, gepaart mit einem umfassenden Konvent und
einer europaweiten Volksabstimmung, wäre es wert, London bei einer
Blockade an den Rand zu drängen.
So ähnlich beschrieb es ja auch die "Krönungstheorie", nach der die
Währungsunion der politischen Union vorausgeht. Nun ist nicht viel
von tieferer Integration zu erkennen, die letztlich die einzige
Rettung für den Euro sein kann. Aus der Euro- wurde eine EU-Krise.
Selbst die stärkere Haushaltskontrolle muss nun außerhalb der
Verträge erfolgen. Die Währungsunion bleibt somit Stückwerk, weshalb
der nächste "Schicksalstag" für die Staats- und Regierungschefs nur
eine Frage der Zeit ist.
Der aufmüpfige Schuljunge wird sich auf seine Insel zurückziehen und
dort feiern lassen. Die Zuchtmeisterin hat im Wesentlichen Schmerzen,
der Dackel Lärm verursacht.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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