Die große Transformation erfordert mehr politische Steuerung und Ressourceneffizienz
Geschrieben am 21-12-2011 |
Berlin (ots) - Pressemitteilung zur Jahrespressekonferenz
Deutsche Umwelthilfe zieht Bilanz des Jahres 2011 und blickt in
die Zukunft - Zusammenhang zwischen Finanz- und Umweltkrise -
Energiewende kommt, aber nicht von allein - In der Autopolitik
Klima-und Gesundheitsschutz zusammendenken - Vollzugs- und
Umsetzungsdefizit im Klima-, Umwelt- und Verbraucherschutz hält an -
2011 ein Viertel weniger Atomstrom und trotzdem weiter
Exportüberschuss - DUH auch 2011 weiter gewachsen
Ohne entschiedene politische Steuerung und einen effizienteren
Umgang mit Energie und Ressourcen droht die nach der
Reaktorkatastrophe von Fukushima eingeleitete große Transformation zu
versanden, bevor sie richtig begonnen hat. Die Bundesregierung hat
das "regenerative Zeitalter" zunächst mit einer spektakulären
energiepolitischen Kehrtwende ausgerufen und macht seit dem eher als
Bremser denn als Antreiber und Koordinator auf sich aufmerksam. Das
erklärten Rainer Baake und Jürgen Resch, die Bundesgeschäftsführer
der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH), anlässlich ihrer Jahresbilanz
und der Vorstellung des DUH-Jahresberichts 2011 heute in Berlin.
Große Teile der Gesellschaft erkennen nach Überzeugung der DUH
inzwischen den Zusammenhang der Knappheiten, die sich in der
Finanz-,Schulden-, und Klimakrise gleichermaßen ausdrücken, viel
klarer als die Regierungskoalition. "Die Menschen wissen, wir leben
andauernd über unsere Verhältnisse: Nicht nur monetär durch eine
überbordende Verschuldung, sondern ebenso ökologisch, indem wir
Raubbau treiben an unseren natürlichen Ressourcen und unkalkulierbare
Großrisiken billigend in Kauf nehmen. Das müssen wir grundlegend
ändern", forderten die Geschäftsführer der Umwelt- und
Verbraucherschutzorganisation.
Die Energiewende in Deutschland komme gut voran, wenn man als
Indikator den Zubau erneuerbarer Energiekapazitäten etwa im
Stromsektor betrachte, erläuterte Baake. Erstmals übertreffen die
Erneuerbaren Energien in diesem Jahr bei der Stromerzeugung sowohl
die Atomenergie als auch den Strom aus Steinkohle. Die Erneuerbaren
allein liefern mittlerweile rund 20 Prozent des deutschen
Strombedarfs. Auch die andauernde Behauptung aus dem Lager der
Energiewende-Gegner, Deutschland müsse wegen des Atomausstiegs große
Mengen (Atom-)Strom importieren, erweise sich als "Wunschdenken von
Leuten, die von ihrem Ziel ´zurück in die 80er Jahre´ nicht lassen
wollen". Trotz des spektakulären Rückgangs der Atomstromproduktion um
fast ein Viertel allein in diesem Jahr wurden auch 2011 rund fünf
Milliarden Kilowattstunden (Terawattstunden, TWh) Strom mehr aus
Deutschland exportiert als ins Land importiert.
"Unser Problem in den nächsten Jahren ist nicht eine von
interessierter Seite künstlich herbei diskutierte Energielücke,
sondern die Transformation des Energiesystems", sagte Baake. Die sei
in der Tat "eine komplexe Optimierungsaufgabe", bei der der Zubau der
Erneuerbaren Energien zusammenpassen müsse mit dem Bau flexibler und
wirtschaftlich tragfähiger Kraftwerke auf Erdgasbasis für den
Übergang, mit dem Um- und Ausbau der Stromnetze, mit der Schaffung
großer Stromspeicherkapazitäten und zunehmend auch mit Anreizen für
eine zeitliche Steuerung des Strombedarfs. Baake: "Die Energiewende
wird nur gelingen, wenn die Eingriffe in die Natur verantwortbar und
die Gesamtkosten der Transformation bezahlbar bleiben". Nur wenn der
Umbau sowohl ökologisch als auch ökonomisch ein Erfolgsprojekt werde,
bestehe eine Chance, dass andere große Industrie- und Schwellenländer
Deutschland auf seinem Weg in eine klimafreundliche Energieversorgung
folgen. Baake bestritt, dass der Widerstand der Bevölkerung für
Verzögerungen bei der Energiewende hauptverantwortlich sei. Vielmehr
gebe es seit Fukushima sogar eine "Aufbruchstimmung in der
Bevölkerung, immer dann, wenn das Behördenhandeln transparent und die
Beteiligungsmöglichkeiten groß" seien. Der Bundesregierung warf Baake
vor, die Energiewende nicht ausreichend zu koordinieren: "Wir fordern
von der Bundesregierung ein Projektmanagement mit dem klaren Auftrag,
die Energiewende zum Erfolg zu führen. Die Energiewende kommt - aber
nicht von allein."
Die Energiewende könne auch nicht gelingen, wenn die Gesellschaft
mit ihren Ressourcen weiter so unbekümmert Raubbau treibe, wie sie es
sich angewöhnt habe, sagte Resch: "Es geht nicht um Askese, es geht
um Effizienz. Wir leben heute immer noch in einer
Wegwerfgesellschaft. Unsere Enkel werden in einer Gesellschaft leben,
in der Wirtschaftskreisläufe, wo immer es geht, geschlossen sind, wo
Rohstoffe mehrfach und in Kaskaden genutzt werden und individuelle
Mobilität im Vergleich zu heute mit einem Bruchteil an Energieumsatz
auskommt". Der Bundesregierung warf Resch "Zukunftsvergessenheit"
vor, etwa indem sie immer noch Spritfresser-Pkw mit einem
Dienstwagenprivileg steuerlich subventioniere, wie in keinem andern
Land der Welt. Auch die kürzlich verabschiedete
Energiekennzeichnungspflicht für Pkw, bei der schwere Luxusjeeps zum
Teil besser bewertet werden als kraftstoffsparende Kleinwagen, sende
"vollkommen falsche Signale in die Gesellschaft".
In der Verkehrspolitik gehe es jedoch nicht nur um Klima-, sondern
auch um Gesundheitsschutz, die beide nicht gegeneinander ausgespielt
werden dürften. Dies geschehe aber aktuell, wenn die deutschen
Autohersteller in Brüssel gegen die Einführung angemessener
Grenzwerte für ultrafeine und deshalb besonders gesundheitsschädliche
Feinstaubpartikel aus Direkteinspritzer-Benzinmotoren streiten. Es
sei unbestreitbar, dass diese Motoren den Spritverbrauch und damit
den CO2-Ausstoß wirksam reduzierten. Gleichzeitig würde jedoch
bewusst der Tod von Menschen in Kauf genommen, obwohl die notwendige
Filtertechnik längst einsatzbereit und bezahlbar sei. "Die Autobauer
verteidigen rücksichtslos ihr Verschmutzungsprivileg zehnfach höherer
Grenzwerte. Dagegen wird die DUH 2012 eine umfassende Kampagne
starten", kündigte Resch an.
Ungebrochen habe sich 2011 auch der jahrelange Trend fortgesetzt,
"dass die Behörden die Einhaltung von immer mehr Umweltgesetzen immer
weniger kontrollieren und Verstöße nicht ahnden." Als Beispiele
nannte Resch die von der DUH aufgedeckten Mülldeponie-Skandale in
Ostdeutschland, wo sich im Interessenkonflikt zwischen Müllaufsicht
und Wirtschaftsförderung letztere immer häufiger durchsetzten. Resch:
"Im Extremfall wird dann Giftmüll aus Weißrussland auf ostdeutschen
Deponien illegal entsorgt." Es sei die Laxheit der Kontrollbehörden
und ihre immer schlechtere Personalausstattung, die Teile der
Industrie zu immer perfideren Tricks bei der Gesetzesumgehung und
Verbrauchertäuschung animierten. Als Beispiel nannte Resch den Fall
eines Getränkeherstellers, der Prozesswasser aus der
Milchverarbeitung in ein Erfrischungsgetränk mischt, um dieses
anschließend als "molkehaltig" und damit ohne Einwegpfand verkaufen
zu können. Oder den kürzlich aufgeflogenen Versuch der Volkswagen AG,
Pkw mit extremen Kraftstoffverbräuchen wie den Phaeton mit einer frei
erfundenen tiefroten Energieeffizienzklasse "H" bei seinen Kunden
etwas grüner zu waschen. "Die Ethikkommission der Bundesregierung hat
für die große Transformation hin zu einer neuen Energiebasis und
einer ressourceneffizienten Wirtschafts- und Lebensweise ein
´Gemeinschaftswerk für die Zukunft´ gefordert. Dazu wir es nicht
kommen, wenn wir weiter zulassen, dass jeder nach eigenen Gesetzen
seinen eigenen Vorteil sucht", schloss Resch.
Im vergangenen Jahr 2011 ist die DUH wie bereits in den Jahren
zuvor weiter gewachsen und beschäftigt aktuell 79 hauptamtliche
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter etwa gleichgewichtig verteilt auf
die Geschäftsstellen am Stammsitz Radolfzell (Bodensee) und in
Berlin. Weitere fünf Personen arbeiten in der Geschäftsstelle
Hannover sowie eine im Projektbüro Elbe in Köthen. Die Deutsche
Umwelthilfe fühlt sich deshalb gut gerüstet, ihre Arbeit für Umwelt-
und Verbraucherschutz im Jahr 2012 mit noch mehr Intensität
fortzusetzen.
Den druckfrischen Jahresbericht 2011 der Deutschen Umwelthilfe
finden Sie als PDF unter www.duh.de.
Weitere Informationen zur Pressemitteilung finden Sie hier:
http://www.duh.de/pressemitteilung.html?&tx_ttnews[tt_news]=2758
Pressekontakt:
Rainer Baake, Bundesgeschäftsführer Deutsche Umwelthilfe e. V.,
Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel.: 030 2400867-0, Mobil: 0151
55016943, E-Mail: baake@duh.de
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer Deutsche Umwelthilfe e. V.,
Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Mobil: 0171 3649170, E-Mail:
resch@duh.de
Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik & Presse, Deutsche Umwelthilfe e.
V., Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel.: 030 2400867-0, Mobil:
0171 5660577, E-Mail: rosenkranz@duh.de
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