(Registrieren)

BERLINER MORGENPOST: Welches Freunderl hätten Sie gern?

Geschrieben am 23-12-2011

Berlin (ots) - "Maß für Maß" heißt Shakespeares wohl bitterste
Komödie, in der ein Herzog in Wien sich verkleidet, um Korruption,
Missstände, Vetternwirtschaft und Begünstigungen bei seinem
Statthalter auszuspionieren. Sein Statthalter hat einen Ehebrecher
und Verführer zum Tode verurteilt und verspricht dessen schöner
Schwester, ihn freizulassen, falls sie mit ihm ebenfalls Ehebruch (so
hieß das todeswürdige Verbrechen damals noch) begeht. Als sie
scheinbar einwilligt, kann der Herzog den Statthalter bei frischer
Tat überführen. Nun wird er vom Herzog, Maß für Maß, ebenfalls zum
Tode verurteilt. Beide werden, es handelt sich ja um eine Komödie, am
Ende geläutert in den Ehehafen überführt. Hannover ist nicht Wien.
Und die Amigo-Geschäfte (die im heutigen Wien übrigens heftiger toben
als im heutigen Hannover) finden in Bierkellern bei Tischfußball
statt, oder man schnorrt sich in den Ferien durch fremde Luxusvillen
und Ferienbetten betuchter Geschäftsleute, auch wenn man
Ministerpräsident ist und später Bundespräsident wird. Auch das Haus
ist kein Wiener Palazzo, aber die 500.000 Euro wollten dennoch
besorgt sein. Das alles ist zur Genüge bekannt. Nun, spät, aber doch,
und, wie ich fürchte, zu spät und zu verquast, hat der Präsident sich
wegen "mangelnder Gradlinigkeit" entschuldigt. Tapfer ließ er seinen
Pressesprecher, mit dem er zwölf Jahre lang "wie ein siamesischer
Zwilling" verbunden war, über die Klinge springen. "Bauernopfer"
heißt das in hochherrschaftlichen Schachwelten für den König und
seine Dame. "Den Sack für den Esel schlagen" heißt das bei Bauern.
Jetzt droht die Weihnachtsansprache Christian Wulffs, scheinbar frei
von jeder Altlast. Und da heutige Bürger mündiger sind als die Wiener
in Shakespeares Komödie, werden sie sich angesichts der piefigen,
verdrucksten kegelbrüderartigen Geschäftsverbindungen wahrscheinlich
auf die Schenkel schlagen, wenn der Präsident bürgerliche Tugenden
wie Aufrichtigkeit, Wahrheit, Maßhalten in der Krise und geistige
Kreditwürdigkeit beschwört. Nun hatte aber Wulff dabei ein besonderes
Pech, da er sich zu der Zeit, als sein Schmierenstück noch nicht
spielte, sozusagen als Wulff im Schafspelz, unter seinen
hannoverschen Mitbürgern und Osnabrücker Freunden verstecken konnte.
Damals feierte noch nicht die CDU im berüchtigten Freundeskreis,
sondern die SPD. Der damalige Wulff hieß Schröder und ließ sich von
seinem Gönner Carsten Maschmeyer als Ex für eine Million eine
Autobiografie schmeißen. Maschmeyer, so scheint es, kennt keine
Parteien, sondern nur Freunde. Ob CDU oder SPD, für ihn waren das
gleiche Narren, gleiche Kappen. Und so bezahlte er für Wulff auch die
Anzeigen zu einem Buch, und Schröder-Freund Manfred Bissinger schrieb
dazu ein Vorwort, in dem er die absolute Unbestechlichkeit und
Unkäuflichkeit des CDU-Ministerpräsidenten lobte. Er machte Wulff
geradezu zum moralischen Asketen und Einsiedler und fand dabei ein
seltsam treffendes Kompliment: Wulff habe die Cowboy-Weisheit stets
befolgt und oft zitiert: "Steig ab, bevor das Pferd tot ist." Nun
gehört zur echten Reue und Einsicht, dass man Buße tut und auf sein
Amt verzichtet, wenn es den eigenen strengen Maßstäben nicht
gehorcht. Nochmals: Maß für Maß. Aber da gibt Wulff lieber seinem
siamesischen Bruder einen Fußtritt, so als wollte er sagen: Das, was
ich bisher gequatscht habe, hat sich doch dieser dumme Kerl
ausgedacht. Aus dieser Nummer kommt der Präsident nicht mehr raus.
Sie liegt gedruckt und von Maschmeyer finanziert vor, heißt "Besser
die Wahrheit" und ist ein Interview-Buch. Jetzt könnte Wulff
zurücktreten und mit Giovanni di Lorenzo ein Buch schreiben, das den
Guttenberg-Titel trägt: "Vorerst gescheitert". Da brauchte er keinen
Mäzen, das Buch würde sich wie warme Semmeln verkaufen, und Wulff
könnte auf eigene Kosten Urlaub an mondänen Stränden machen. Da dies
aber nicht so ist und Politiker nach dem Motto leben: "Was geb ich
auf mein dummes Geschwätz von vorgestern", wird er Weihnachten beim
Reden an sein Volk wieder aufs hohe moralische Ross steigen und man
wird dabei die lahmen Hufe klappern hören. Ach, die Weihnachts- und
Neujahrsansprachen! Der Präsident redet zu Weihnachten, der Kanzler
zu Silvester. Einmal wurde eine von Helmut Kohl aus Versehen im
nächsten Jahr noch einmal wiederholt. Keiner hat es gemerkt. Sie
wirkte taufrisch und ehrlich wie am ersten Tag. Mein Vorschlag zur
Güte wäre: Weihnachtsansprachen werden wiederholt wie das "Dinner for
One" zu Silvester, Jahr für Jahr. Dann kann Wulff auch beruhigt
Präsident bleiben, ohne dass wir beim Anhören seiner Rede physisch
darunter leiden. Wir können ja einfach abschalten.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chefin vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

370446

weitere Artikel:
  • NRZ: Zu den Protesten in der ganzen Welt schreibt die in Essen erscheinenede Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung (NRZ): Essen (ots) - Die Frauen haben zu ihrem Mut gefunden. Sie gehen auf die Straße, um sich zu wehren, um Missstände in ihren Ländern anzuprangern und für ihre Rechte zu kämpfen. Es war ein gutes Zeichen, dass der Friedensnobelpreis in diesem Jahr an Tawakkul Karman (Jemen), Ellen Johnson Sirleaf und Leymah Gbowee (beide Liberia) - allesamt Vorkämpferinnen für die Demokratie - gegangen ist. Überhaupt ist dieses Jahr ein gutes für die Demokratie. Die Menschen in aller Welt haben erkannt, dass Veränderung möglich ist, dass sie etwas mehr...

  • Ostsee-Zeitung: OSTSEE-ZEITUNG (Rostock) zu Reformen in Russland: Rostock (ots) - Es war doch kaum mehr als die alte Leier, was Medwedew da verkündet hat. Schon bei seinem Amtsantritt 2008 hatte er liberale und demokratische Reformen versprochen. Nichts davon durfte er einlösen. Sein politischer Ziehvater Wladimir Putin hat ihn daran gehindert. Putin wird nach seinem Wiedereinzug als Präsident in den Kreml auch bestimmen, welche von Medwedews Reformen auch in der Praxis eingelöst werden. Wie die aussehen wird, hat er schon angedeutet: Wer als Direktkandidat antreten oder sich bei den wiederbelebten mehr...

  • Ostsee-Zeitung: OSTSEE-ZEITUNG (Rostock) zu Wulffs Weihnachtsansprache: Rostock (ots) - Die Ansprache setzt den richtigen Akzent. Sie ruft angesichts der abscheulichen Neonazi-Morde dazu auf, Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzung und Deutschtümelei schon im Kleinen entgegenzutreten. Eine passende Botschaft zu Weihnachten, eine notwendige Botschaft gegen den braunen Ungeist. Wulff hat die Wortmeldungen zu seinen früheren Verfehlungen nicht mit seiner Aufgabe vermischt, zu Weihnachten als Staatsoberhaupt das Wort zu ergreifen. Das war richtig. Auch seine Parteifreunde von der Union sollten deshalb nicht beides mehr...

  • Lausitzer Rundschau: Ungelöste Probleme Der Präsident und seine Weihnachtsansprache Cottbus (ots) - Dass aus der Union jetzt prominent gefordert wird, sich endlich wieder dem wirklich Wichtigen zuzuwenden, ist verständlich. Die Kreditaffäre des von Schwarz-Gelb auserkorenen Bundespräsidenten Christian Wulff hat auch die Regierung erheblich belastet und Angela Merkel unter Druck gesetzt. Wahr ist aber auch, dass es nun mal Themen gibt, die von ihrer politischen und gesellschaftlichen Bedeutung weitaus wichtiger sind als Wulffs Nähe zu Unternehmern in seiner Zeit als Ministerpräsident. Das Staatsoberhaupt benennt mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu Bundespräsident Osnabrück (ots) - Nach Weihnachten muss Wulff starke Worte finden Bundespräsident Christian Wulff ruft in seiner Weihnachtsansprache zu einer entschlossenen Verteidigung der Demokratie auf, zu einer offenen Gesellschaft und erklärt, dass Europa unsere gemeinsame Heimat ist. Wie immer wohlmeinende Worte unter dem Tannenbaum im Schloss Bellevue. Eine Standortbestimmung, eine markige Rede mit kraftvollem Inhalt hat eine andere Sprache. Aber mal ehrlich: Nichts anderes als warme Worte in einer stilvollen Umgebung sind bei einer mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht