Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Marianne Sperb zu Wulff
Geschrieben am 26-12-2011 |
Regensburg (ots) - Die Feiertage haben Christian Wulff eine
Auszeit geschenkt. Das Trommelfeuer der Vorwürfe pausierte.
Allerdings dürfte noch bei keiner präsidialen Weihnachtsansprache so
hartnäckig und unterschwellig-vorwurfsvoll danach gefragt worden
sein, was nicht gesagt wurde. Das ist symptomatisch im Fall Wulff:
Hätte der Bundespräsident die eigene Sache thematisiert, hätten
Kritiker ihm angekreidet, eine bundesrepublikanische Tradition für
eine persönliche Rechtfertigung zu missbrauchen. Man sieht: Christian
Wulff kann es derzeit nur falsch machen. Seit die Bild-Zeitung, aus
nach wie vor ungeklärten Motiven, den Verdacht platziert hat, der
höchste Mann im Staat könnte korrupt sein, läuft gegen Wulff der
Prozess. Aufklärungsfuror rollt durchs Land, die Krämerseele hat
Auslauf, die Tugendwächter ihren Auftritt. Kaum ein
Oppositionspolitiker oder Kommentator, der auf sich hält und nicht
bedenkenschwer den Kopf zur Seite legt. Im gouvernantenhaften Ton
heißt es: Das tut man nicht, Herr Präsident! Kein Zweifel: Es war
dumm, ungeschickt, schädlich und vor allem unnötig, den Hauskredit
von Freunden nur unvollständig offen zu legen. Warum hat Wulff die
halbe Wahrheit unerschlagen? Das Verschweigen ist eine Vorform der
Lüge. Und die Mutter der Lüge ist die Angst. Schauen wir uns die
Mutter an: In den vergangenen Jahren hat uns eine Reihe von Fällen
gezeigt, wie ein Anfangsverdacht zur vernichtenden Woge anschwellen
kann. Dass Christian Wulff auch den Hauch einer Unkorrektheit meiden
wollte, weil er Angst hatte vor einer ausufernden Anklagemaschinerie,
ist nicht bloß nachvollziehbar, sondern eine Zwangsläufigkeit im
herrschenden Klima. Wie perfekt wünschen wir uns unsere Politiker?
Wollen wir sie als Unschuldige, im gewissermaßen paradiesischen
Zustand, die zwar das Paradies, aber nicht die Welt außerhalb kennen?
Oder gehört zur vollständigen Reife einer Persönlichkeit und zum
Verständnis der Welt, die eben unperfekt ist, nicht gerade die
Erfahrung eigener Fehler? Der Wunsch nach manipulationsresistenten
Politikern ist weltfremd, denn: Natürlich ist jeder Mensch
verführbar, sei es durch Geld, Glanz oder Schönheit. Die Frage ist
also nicht, ob Wulff sich manipulierbar gemacht hat, sondern ob er
sein Netzwerk missbraucht hat zum Schaden anderer. Und genau das ist
bisher in keinem einzigen Punkt zu erhärten. In der Tat: Das höchste
Amt im Staat verlangt besondere Maßstäbe. Wahr ist aber auch, dass
sich der Bundespräsident keiner illegalen Handlung schuldig gemacht
hat. Christian Wulff wird vorgeworfen, er gebe scheibchenweise
Verfehlungen zu. Umgekehrt lässt sich aber auch festhalten, dass die
Ankläger stückchenweise ihre Latte höher legen. Erst fordern sie
Klarheit über den Hauskredit, dann Details über Urlaube, dann ein
persönliches Statement, aber auch wenn diese Erklärung getan ist,
"bleiben noch Fragen offen", wie in unheilschwangerem vollem Ton
verlautet. Nehmen wir als Beispiel den jüngsten Vorwurf: Die BW-Bank
hat Wulff einen Kredit zu Sonderkonditionen gewährt. Ein "unübliches
Vorgehen", wie es prompt heißt. Das Gegenteil ist der Fall. Unüblich
wäre es, einen Ministerpräsidenten am Schalter wie einen 08/15-Kunden
zu behandeln. Als Landeschef besaß Wulff sozusagen ein
Triple-A-Rating, eine außergewöhnliche Bonität, und
selbstverständlich genießt eine Bank das Prestige, einen
Ministerpräsidenten in der Klientel zu haben. Das ist weder schädlich
noch unehrenhaft; so funktionieren Geschäfte einfach. Die Kritik an
Wulff hat kein wirkliches Ziel. Selbst die Opposition möchte einen
Sturz des Bundespräsidenten und die mühsame Suche nach einem
Nachfolger vermeiden. Zeit und Energie werden in der Europa-Krise
anderweitig gebraucht. Niemand also will Wulffs Rücktritt - aber die
Kritiker wollen ihn kleiner machen und sich größer. Wenigstens
beschädigt haben wollen sie ihn. Das ist das eigentlich Schmutzige am
Fall Wulff. Eine Gesellschaft, in der die Normalität des Handelns
abgelöst wird von der Absurdität der Kritik, erzieht sich Politiker,
die am Ende ängstlich um äußerste Tadellosigkeit bemüht sind - und
darüber zu Tatenlosen werden. Eine Gesellschaft, die glücklich werden
will mit den Politikern, die sie gewählt hat, tut gut daran, ihnen
Vertrauen zu schenken. Denn zukunftsweisendes, mutiges, freies
Sprechen und Handeln entstehen nicht im Klima unkalkulierbaren
Verdachts, sondern im angstfreien Raum. Der angstfreie Raum muss aber
mutig verteidigt werden. Schade, dass Wulff dieser Mut gefehlt hat.
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Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
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