Mittelbayerische Zeitung: 67 - das ist zu wenig
Eine längere Lebensarbeitszeit scheint unumgänglich. Die Voraussetzungen stimmen aber noch nicht. Von Bernhard Fleischmann
Geschrieben am 02-01-2012 |
Regensburg (ots) - Wir haben eine neue Aufregerzahl: 67. Vor zwei
Tagen begann der Einstieg in den späteren Rentenbeginn. Wer in diesem
Jahr 65 wird, muss einen Monat länger arbeiten. Bekannt ist das schon
lange, aber jetzt kommt wieder Schwung in die Diskussion, ob die
Lösung wirklich sinnvoll ist. Vorweg: So, wie sie aktuell konzipiert
ist, ist sie es nicht. Deswegen sollten die Kritiker an Horst
Seehofers Rentenschwenk ihre Worte mit mehr Bedacht wählen.
Verständlich ist, dass bei den Koalitionären der Grad der
Begeisterung über den CSU-Chef weit in den Minusbereich tendiert,
wenn dieser die Reform unter den gegenwärtigen Umständen als
faktische massenhafte Rentenkürzung geißelt. Denn der
Koalitionsbeschluss ist dahingehend eindeutig: Union und FDP stehen
zur Rente mit 67. Eindeutig zeichnet sich aber auch ab, dass das
Konstrukt in seiner jetzigen Form genau diese Folgen haben wird -
weniger Rente vor allem für jene, die ohnehin wenig bekommen werden.
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen bügelt Kritik daran ziemlich
unverschämt mit einem alten rhetorischen Trick ab. Es gebe nur drei
Möglichkeiten, sagt sie: Drastisch steigende Rentenbeiträge,
Rentenkürzung oder eben länger arbeiten. Was ist falsch daran?
Nichts, außer dass der Punkt "länger arbeiten" mehr
Gestaltungsspielräume lässt als das sture Modell 67. Dort steckt so
viel Fantasie und Kreativität drin wie in einem Betonquader.
Solcherlei statische Lösungen wirken zwar auf den ersten Blick
nachvollziehbar, werden aber der Wirklichkeit nicht gerecht. Richtig
ist, dass das Rentensystem ein "Weiter-so" nicht aushält. Richtig ist
auch, dass uns eine stärkere Öffnung für Zuwanderer etwas helfen
würde, aber nur vorübergehend und auch nur in viel zu geringem Maße.
Eine längere Lebensarbeitszeit drängt sich als Gegenmaßnahme auf.
Aber doch nicht mit einem pauschalen Eintrittsalter von 67. Das geht
weit an der Lebensrealität vorbei. Am schlimmsten trifft es Menschen,
die hart körperlich arbeiten und wenig verdienen. Sie werden öfter
krank, haben ein höheres Risiko, arbeitslos zu werden und schaffen
deshalb kaum 45 Beitragsjahre für die volle Rente oder alternativ die
Beschäftigung bis 67. Sie sind am Ende die Verlierer. Obendrein
sterben sie früher als der Durchschnitt. Auf der anderen Seite
genießt der Gutverdiener seine volle Rente länger und bei besserer
Gesundheit. Das ist weder gerecht noch gesund für die Gesellschaft.
Länger arbeiten ja, aber dafür brauchen wir etwas mehr Intelligenz
und Flexibilität im System. Es gibt genügend Menschen am Rande des
Ruhealters, die gerne weiterarbeiten wollen; oft nur Teilzeit, aber
sie können ihr Wissen und ihre Fähigkeiten noch sehr gewinnbringend
für sich und ihre Arbeitgeber einbringen. Man kann auch über
Lebensarbeitszeitkonten nachdenken. Wir brauchen überdies Lösungen
für die zunehmende Zahl von Menschen mit sehr bunten und gebrochenen
Erwerbsbiografien. Die Rente mit 67, so wie sie jetzt ausgestaltet
ist, orientiert sich immer noch an der Realität einer vergangenen
Epoche mit geradlinigen Lebensverläufen. Und sie setzt voraus, dass
Ältere arbeiten dürfen, wenn sie wollen. Dem ist aber noch lange
nicht so. Zwar hat sich die Beschäftigungsquote der 60- bis
64-Jährigen binnen elf Jahren auf 41 Prozent verdoppelt. Aber nur ein
Viertel in dieser Altersgruppe arbeitete in einer sozial
abgesicherten Position. Das ist beschämend wenig. So schlimm, wie
vielfach beklagt, scheint der Fachkräftemangel nicht zu sein. Ohne
einen funktionierenden Arbeitsmarkt für Ältere wird die
Rentenversicherung deshalb den Veränderungen der nächsten 20 Jahre
kaum unverändert standhalten.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
371159
weitere Artikel:
- "DER STANDARD"-Kommentar: "Wo das Böse lauert"
von Michael Völker Trotz zahlreicher Anlässe ist Österreich in der
Korruptionsbekämpfung säumig - Ausgabe vom 3.12.2012
Wien (ots) - Die innenpolitischen Aufreger des vergangenen Jahres
- zumindest aus Sicht der Userinnen und User von derStandard.at -
waren Fälle, die man weitläufig mit Korruption beschreiben würde. Der
Kärntner FPK-Chef und Landesrat Uwe Scheuch wurde erstinstanzlich zu
18 Monaten Haft - sechs davon unbedingt - verurteilt, weil er für
seinen möglichen Einsatz bei der Beschaffung von Staatsbürgerschaften
eine Geldspende an die Partei mehr...
- Rheinische Post: Gefährlicher Iran Düsseldorf (ots) - Ein Kommentar von Martin Kessler:
Die Mullahs spielen mit dem Feuer. Nachdem die internationale
Atomenergiebehörde die Nuklearpläne des Iran als versteckten Bau
einer eigenen Atombombe entlarvt hatten, geht das Land auf vollen
Konfrontationskurs mit dem Westen. Sogar ein militärischer Konflikt
scheint nicht mehr ausgeschlossen. Für den Westen mit seiner
Führungsmacht USA stellt sich die Frage, wie er mit dem
unberechenbaren Regime religiöser Fanatiker in Teheran umgeht. Ein
Waffengang würde die ganze instabile mehr...
- Rheinische Post: Schul-Evolution Düsseldorf (ots) - Ein Kommentar von Frank Vollmer:
Dieses Ergebnis dürfte ganz im Sinne der Schulministerin sein: 50
Kommunen in Nordrhein-Westfalen haben zum neuen Jahr die Einrichtung
einer Sekundarschule beantragt. Sylvia Löhrmann hat zwei Gründe, sich
darüber zu freuen. Erstens: Die Zahl zeigt, dass der
schwarz-rot-grüne Schulkompromiss mit der Sekundarschule als
Kernstück nötig war. Der Handlungsdruck ist groß, weil die
Schülerzahlen für eigene Haupt- und Realschulen vielerorts nicht mehr
reichen. Und bevor jemand argwöhnt, mehr...
- Ostsee-Zeitung: Kommentar zu Wulff Rostock (ots) - Jeder Mensch kann einmal aus der Haut fahren,
jeder macht mal Fehler. Im Fall Wulff ist es die Kette der Fehler,
seiner Kontakte und Geschäfte mit einem Geschmäckle, der
Instinktlosigkeiten und nachgeschobenen Wahrheiten. Das alles wird
immer peinlicher. Hörbares Unwohlsein breitet sich inzwischen auch in
der schwarz-gelben Koalition aus. Für die bisherige
Standard-Forderung, es müsse Schluss sein mit der Debatte, weil alles
gesagt und das hohe Amt nicht beschädigt werden dürfe, mochte sich
gestern keiner mehr hergeben. mehr...
- Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum NRW-Rauchverbot Bielefeld (ots) - In Deutschland vollzieht sich ein Wandel. War
der Glimmstängel in der Hand lange Zeit chic, wird Rauchen
mittlerweile als das gesehen, was es ist - schädlich! Der
Nichtraucherschutz hat oberste Priorität - auch auf EU-Ebene. In
Brüssel strebt die Politik längst »eine zu 100 Prozent rauchfreie
Umgebung« an. Eine Übertragung in europäisches Recht ist absehbar.
Genau in diesem Sinne geht nun auch die NRW-Regierung in die Vollen.
Sie will ein striktes Rauchverbot durchsetzen. Manch einem werden die
Vorschläge der Landesregierung mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|