NRZ: Durchsichtige Strategie - Kommentar von Jan Jessen
Geschrieben am 19-01-2012 |
Essen (ots) - Die Verbraucher sind geizig und deshalb schuld an
der Massentierhaltung; mithin auch schuld an den Gefahren für die
menschliche Gesundheit, die der industriellen Fleischproduktion
innewohnen. Mit dieser Argumentation versucht sich der Bauernverband
aus der Verantwortung für die teils skandalösen Haltungsbedingungen
von Tieren zu stehlen. Das ist ebenso durchsichtig wie billig.
Richtig ist: Der Verbraucher ist Akteur auf dem Lebensmittelmarkt. Er
entscheidet, ob er Billigst-Fleisch oder das teurere aus der
Bio-Produktion kauft. Und natürlich lohnt es sich darüber
nachzudenken, ob wirklich jeden Tag Fleisch auf dem Teller liegen
muss. Aber erstens haben Dank der Umverteilung von unten nach oben in
den vergangenen Jahren viele Menschen einfach nicht genügend Geld, um
sich hochwertige Lebensmittel zu leisten. Zweitens müssen sich
Verbraucher darauf verlassen können, dass das, was im Kühlregal
liegt, nicht gesundheitsgefährdend ist, auch wenn es billig ist. Vor
allem aber sind die Verbraucher nur EIN Akteur. Hauptgrund für den
immer größer werdenden Druck auf die Produzenten von Lebensmitteln
ist der mörderische Wettbewerb im Einzelhandel. Ein Druck, dem der
Bauernverband willfährig nachgibt. Wir erinnern uns: Als die
Milchpreise im Keller waren, musste der Bundesverband Deutscher
Milchviehhalter den Job des weit mächtigeren Bauernverbandes
erledigen und auf die Barrikaden gehen. Auch der Handel mit
Lebensmitteln ist ein globalisierter; deswegen ist es Unsinn, einem
landwirtschaftlichen Heidi-Idyll nachzutrauern, das niemals existiert
hat. Für Deutschlands aus EU-Töpfen satt gefütterte Agrarlobbyisten
lautet die Devise aber immer noch ganz im marktradikalen Duktus:
"Wachsen oder Weichen". Genau das ist die Denke, die Bauernhöfe zu
Fleischproduktionsfabriken in irrwitziger Größe mutieren lässt.
Schade, dass die christsoziale Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner
zu diesen generellen Fehlentwicklungen jenseits von
Absichtsbekundungen ("Wir wollen das Tierwohl stärken!") so wenig zu
sagen hat. Immerhin ist sie auch Verbraucherschutzministerin.
Pressekontakt:
Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung
Redaktion
Telefon: 0201/8042607
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