Praxis-Leitlinien und Fragebögen sollen die Schmerztherapie erleichtern
Geschrieben am 14-03-2012 |
Frankfurt (ots) - Die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie
und die Patientenorganisation Deutsche Schmerzliga haben das Projekt
»Praxis-Leitlinien« als Bestandteil der Schmerzoffensive Deutschland
gestartet. Ziel ist eine bessere Behandlung von Schmerzpatienten. Die
ersten Leitlinien werden auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag
in Frankfurt präsentiert und diskutiert. Ebenso stellen Experten
erste Praxis-Fragebögen vor, die eine Konsequenz der Leitlinienarbeit
sind. Sie sollen Ärzten eine individuell angepasste Therapie ihrer
Patienten erleichtern.
Die Zahl der Leitlinien in der Schmerztherapie steigt - und mit
ihr die Desorientierung von Ärzten und Patienten. Denn viele
Leitlinien haben Defizite und Schwächen. »Oft entsprechen deren
Aussagen weder den praktischen Erfahrungen der Schmerztherapeuten,
noch denen der betroffenen Patienten«, sagt Priv. Doz. Dr. Michael A.
Überall, Leiter des Instituts für Qualitätssicherung in
Schmerztherapie und Palliativmedizin in Nürnberg. Hinzu kämen
fehlende Transparenz, fehlerhafte Darstellungen und Interpretationen
wissenschaftlicher Studien sowie »eminenzdominierte« Empfehlungen,
kritisiert der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für
Schmerztherapie.
»Eingesetzt als Orientierungshilfen, die externe,
wissenschaftliche Evidenz mit der praktischen Erfahrung von Ärzten
und den Erwartungen Betroffener kombinieren, sind Leitlinien
gleichwohl sinnvoll und wichtig«, betont Überall. Darum haben die
Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie und die
Patientenorganisation Deutsche Schmerzliga damit begonnen,
entsprechend diesem Prinzip Praxis-Leitlinien für den Bereich
Schmerztherapie zu entwickeln. »Diese haben eine hohe fachliche und
methodische Qualität und entstehen unter Bedrücksichtigung
internationaler Empfehlungen zur Leitlinienentwicklung«, sagt
Überall.
Die Praxis-Leitlinien haben jeweils einen modularen Charakter. In
insgesamt drei parallelen Modulen werden Empfehlungen gegeben zu
Medikamenten, zu nichtmedikamentösen Verfahren sowie zu invasiven und
operativen Verfahren. Diese Module werden auf der übergeordneten
Stufe zu Empfehlungen zum praktischen Vorgehen in der täglichen
Praxis verknüpft.
PRAXIS-LEITLINIE TUMORSCHMERZ.
Nach diesen Prinzipien hat die Arbeitsgruppe Palliativmedizin der
Gesellschaft eine Leitlinie zum Tumorschmerz erarbeitet. Eine
Kurzversion dieser Leitlinie wird von Dr. med. Dipl. Psych. Johannes
Horlemann, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für
Schmerztherapie in Frankfurt präsentiert. Zusammen mit sechs anderen
Experten (Dr. Silvia Maurer, Bad Bergzabern, Dr. Michael Küster,
Bonn, Dr. Klaus Längler, Erkelenz, Dr. Rüdiger Lang, Duisburg, Dr.
Hans-Hermann Nägelein, Rosenheim und Dr. Norbert Schürmann, Moers)
hat Horlemann intensiv die wissenschaftliche Literatur der letzten
fünf Jahre analysiert und eine patienten- und praxisnahe Leitlinie
etabliert. Die Veröffentlichung der Langfassung soll noch in diesem
Jahr erfolgen. Die Hospizbewegung und die Patientenorganisation
Deutsche Schmerzliga werden in die Evaluierung der Aussagen
einbezogen. Horlemann: »Wir haben sicher gestellt, dass nur solche
Autoren beteiligt sind, die täglich mit der Therapie von
Tumorschmerzen zu tun haben. Eminenzbasierte Empfehlungen wurden
ausgeschlossen.«
So empfiehlt die Leitlinie beispielsweise, dass
Tumorschmerzpatienten keineswegs alle Ebenen des WHO Stufenschemas
1-3 durchschreiten müssen, die Behandlung also zunächst mit
nicht-opioid-Analgetika beginnt und erst danach stärkere Medikamente
eingesetzt werden. »Den Vorrang bei der Auswahl eines Medikamentes
haben, so die Empfehlung, die Wirkstärke und die Verträglichkeit.«
Morphin ist die traditionelle Referenzsubstanz in der
Tumorschmerztherapie. Aufgrund besserer Verträglichkeit sind
alternative Opioide überlegen, empfiehlt die Leitlinie. Morphin, so
die Begründung, habe die höchste Obstipationsquote unter den
verfügbaren Opioiden WHO Stufe 3, daher sollten Antiobstipativa
regelmäßig erwogen werden. Ebenfalls konstatiert die Leitlinie:
»Grundsätzlich sind Generica untereinander und gegenüber ihren
jeweiligen Originalpräparaten in WHO Stufe 1-3 aufgrund
unterschiedlicher Bioverfügbarkeit und Galenik nicht austauschbar.«
Ebenfalls präsentiert wird eine Praxis-Leitlinie zur Therapie des
Durchbruchschmerzes. Diese gehören zu den häufigeren
schmerztherapeutischen Problemen bei Krebserkrankungen. Sie treten
spontan oder im Zusammenhang mit einem bestimmten vorhersehbaren oder
nicht vorhersehbaren Auslöser auf, obwohl die Dauerschmerzen
konsequent und effektiv behandelt werden.
MUSKELRELAXANTIEN GEGEN RÜCKENSCHMERZ AUF DEM PRÜFSTAND.
Das Leitlinien-Modul Muskelrelaxantien bei Kreuzschmerzen wird
ebenfalls in Frankfurt diskutiert. In diesem Modul bewerteten die
Experten insgesamt acht Wirkstoffe mit muskelentspannender Wirkung,
die in Deutschland zugelassen sind sowie sechs Wirkstoffe, die nicht
zugelassen sind, aber zum Teil über Versandapotheken verfügbar sind.
Neben der verfügbaren externen Evidenz aus kontrollierten Studien
fließen standardisiert erhobene klinische Erfahrungen der Therapeuten
als interne Evidenz, die Erfahrungen der Patienten sowie Daten zu
Sicherheit und Verträglichkeit in die Bewertung ein. Als Mittel der
1. Wahl empfiehlt dieses Modul den Wirkstoff Flupirtin, das bei allen
Kriterien am besten abschnitt.
PRAXIS-FRAGEBÖGEN.
Adressaten der ebenfalls in Frankfurt präsentierten ersten neuen
Praxis-Fragebögen sind alle schmerztherapeutisch interessierten und
engagierten Ärzte. Die Praxisfragebögen sind Teil des
Praxis-Leitlinienprogramms der Deutschen Gesellschaft für
Schmerztherapie und damit auch Teil der Schmerzoffensive Deutschland.
»Das Prinzip dieser Fragebögen ist einfach: Sie sind mit zwei Seiten
übersichtlich und sollen - aufbauend auf Angaben des Patienten - den
Arzt dabei unterstützen, das Für und Wider bestimmter Therapien für
den jeweiligen Einzelfall zu prüfen, Vor- und Nachteile gegeneinander
abzuwägen und das ganze möglichst einfach und standardisiert zu
dokumentieren«, erklärt Überall.
Vorgelegt werden auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag drei
Fragebögen: Einer zur Therapiesicherheit bei entzündungsbedingten
Schmerzen, einer zur Therapiesicherheit bei »unspezifischen«, sprich:
meistens muskulär bedingten Kreuz-, Rücken-, Schulter und
Nackenschmerzen, Nummer drei erleichtert die Abwägung der
Therapiesicherheit bei tumorbedingten Durchbruchschmerzen. Bei den
einzelnen Fragebögen haben Sponsoren die Druckkosten übernommen,
damit die Fragebögen im Rahmen des Deutschen Schmerztages jeweils ab
dem Zeitpunkt ihrer Vorstellung im Rahmen des Hauptprogramms
Besuchern kostenlos zu Verfügung stehen. »Wie üblich ersetzt der
Fragebogen nicht den Arzt beziehungsweise das Denken«, schmunzelt
Überall, »aber alleine die Auseinandersetzung mit ihm und mit den
Angaben des Patienten führt unserer Erfahrung nach bereits zu einer
entscheidenden Verbesserung der Versorgung.«
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