Börsen-Zeitung: Der Dax wird teurer, Börsenkommentar "Marktplatz", von Christopher Kalbhenn.
Geschrieben am 16-03-2012 |
Frankfurt (ots) - Für die meisten völlig überraschend, geht das
bald endende erste Quartal des Jahres eindeutig an die Risiko-Assets.
Die Risikoscheu, die die Akteure zur Jahreswende noch von mutigeren
Engagements abgehalten hat, weicht zunehmend aus den Märkten. Gründe
sind unter anderem die aufgrund ermutigender Daten schwindenden
Rezessionsbefürchtungen, die beruhigende und erhebliche Liquidität in
die Märkte bringende Wirkung der Dreijahrestender der Europäischen
Zentralbank und die zumindest vorläufig gelungene Abwendung eines
ungeordneten Staatsbankrotts Griechenlands. Mehr noch als die Tendenz
verblüfft in vielen Marktsegmenten aber das Ausmaß der
Aufwärtsbewegung. So haben die Aktienmärkte der Schwellenländer seit
Jahresbeginn um 16% zugelegt, Industrieanleihen werden den Emittenten
geradezu aus den Händen gerissen, und auch Hochzinspapiere sind
inzwischen heiß begehrt und werfen satte Anlageerträge ab, zyklische
Rohstoffe wie Kupfer und Nickel haben sich seit dem Jahresauftakt um
13% und 23% verteuert.
Herausragend ist nicht zuletzt auch die Entwicklung des Dax. Er
hat um 21,4% auf 7158 Punkte zugelegt, so deutlich wie noch nie in
den ersten elf Wochen eines Jahres. Damit ist er, eine bemerkenswerte
Parallele zum zurückliegenden Jahr, mit Abstand der stärkste Index
Westeuropas. Nur wenige Länder, darunter Ägypten, Russland, die
Türkei, Ungarn und Vietnam, können stärkere Indexentwicklungen
vorweisen. Seit dem Tief vom August des Vorjahres bei knapp 5000
Zählern summieren sich die Gewinne des Dax sogar auf mehr als 40%.
Reihenweise haben die Marktbeobachter im Zuge dieser Entwicklung ihre
Indexziele erhöht. Anfang des Jahres hatten deutsche Institute für
den Dax per Ende März und zur Jahresmitte noch Durchschnittsprognosen
von rund 5750 und 6050 abgegeben.
Allerdings hat die Entwicklung auch ihre Schattenseiten. Denn der
Dax wird teurer - und zwar nicht nur wegen der starken
Kurssteigerungen. Seit dem Jahresbeginn sind zudem die
Gewinnschätzungen leicht weiter gesunken. Im Ergebnis hat sich damit
das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des Dax auf Basis der
Konsensschätzungen von 9,3 auf 11,1 erhöht. Auf Deutsch: Um die im
Dax enthaltenen deutschen Unternehmen zu kaufen, muss nun das
Elffache ihres Jahresgewinns aufgewendet werden, während es zum
Jahresauftakt nur ungefähr das Neunfache war. Zwar bewegt sich der
Index mit einem KGV von 11 noch längst nicht im roten Bereich. Aber
das Argument, dass der deutsche Aktienmarkt sehr günstig, ein
Schnäppchen sei, hat an Kraft verloren. Ein ähnliches Bild liefert
das Kurs-Buchwert-Verhältnis. Ende 2011 noch bei 1,2, liegt es
mittlerweile bei knapp 1,5. Das zeigt bei weitem noch keine
Überbewertung an; der Zehnjahresdurchschnitt von 1,54 ist damit aber
nahezu erreicht.
Aus rein bewertungstechnischer Sicht hat der Markt - sofern
Störfeuer seitens der Schuldenkrise ausbleibt - durchaus noch
Spielraum nach oben. Dies gilt gerade vor dem Hintergrund der
immensen Anlagen suchenden Liquidität, die an den großen
Top-Staatsanleihemärkten nur indiskutable Ertragschancen vorfindet.
Außerdem werden in den kommenden Monaten zunehmend die Ergebnisse des
nächsten Jahres in den Überlegungen der Investoren Berücksichtigung
finden. Legt man den Konsens für die Dax-Gewinne im nächsten Jahr
zugrunde, ergibt sich ein KGV von knapp 10, das erst recht auf
Aufwärtspotenzial hindeutet.
Wenn nur das Wörtchen wenn nicht wäre. Denn die vermutete günstige
Bewertung steht und fällt mit der Ergebnisentwicklung beziehungsweise
den Markterwartungen. Bislang hat sich in diesem Jahr bei den
Prognosen noch nicht viel getan. Mit rund 722 Indexpunkten liegt der
aggregierte Gewinn des Dax auf Basis des Konsenses für das Jahr 2012
ziemlich genau da, wo er am Jahresanfang war. Steigen die
Gewinnerwartungen für das nächste Jahr, sinkt das KGV - den aktuellen
Dax-Stand unterstellt - deutlich unter 10, und es eröffnet sich
erhebliches Aufwärtspotenzial.
Doch das Jahr 2013 ist noch weit weg, und wie sich die
Weltwirtschaft und die Unternehmensgewinne dann entwickeln werden,
kann derzeit niemand einschätzen, nicht zuletzt, weil der ausufernde
Interventionismus der Politik die Berechenbarkeit zusätzlich
erschwert. Bei aller Freude über die prächtige Rally und das zuletzt
aufgehellte Umfeld sind auch die schwelenden Risiken zu beachten, so
neue Turbulenzen durch die Schuldenkrise und eine von manchen
Experten befürchtete harte Landung in China.
(Börsen-Zeitung, 17.3.2012)
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