Weser-Kurier: Kommentar zum Verkauf von Munchs "Schrei"
Geschrieben am 03-05-2012 |
Bremen (ots) - 120 Millionen US-Dollar für ein zugegeben
weltberühmtes Bild wie Edvard Munchs "Der Schrei" - das ist doch
irrational, oder? Ja natürlich, weil der exorbitante Preis in keinem
Verhältnis zum materiellen und ideellen Wert dieses Gemäldes steht,
von dem es mehrere Versionen in Öl und als Lithografien gibt. Aber
glaubt denn jemand, die Herrscherfamilie des Golf-Emirates Katar, die
den Munch bei Sotheby's in New York angeblich ersteigert hat, ist
verrückt geworden, schmeißt die Öl-Millionen nur so zum Fenster
hinaus? Natürlich nicht. Selbst wenn man den neuen Besitzern des
Munch-Bildes Kunstsinnigkeit unterstellte, selbst wenn dieses Gemälde
zum Aushängeschild eines spektakulären Museums in der Golfregion
werden sollte - den Käufern geht es schlicht um eine sichere
Geldanlage, sicherer als die Investition in Rohstoffe, Aktien,
Immobilien oder Gold. Werke der klassischen Moderne oder der alten
Kunst sind wertbeständig, ja, sie werden als knappes Gut immer
wertvoller. Es gibt mittlerweile in der Golfregion, in China, Indien
und Russland so viele Milliardäre, die sich auf diesem Markt tummeln,
dass mit weiteren Rekorderlösen zu rechnen ist. Und so ist ein
Wahnsinnspreis von 120 Millionen US-Dollar für ein Werk Munchs noch
nicht einmal ein spekulatives Geschäft, sondern eine absolut
konservative Geldanlage. Riskant wäre allenfalls die Investition in
zeitgenössische Kunst, weil sich in dieser Sparte des Kunstmarktes
die Wertentwicklung manchmal erst nach Jahrzehnten absehen lässt.
Gewinner dieser Entwicklung sind natürlich die Bildbesitzer, die sich
von ihrer Kunst trennen, und die Auktionshäuser. Verlierer sind
eindeutig die Kunstmuseen und die öffentlichen Kulturstiftungen, die
sich weltweit schon lange keine Ankäufe etablierter Kunst mehr
leisten können. Ihnen bleibt nur die Hoffnung, dass millionenschwere
Anleger ihren wertvollen Besitz an sie ausleihen, damit die
kunstsinnige Öffentlichkeit weiter Zugang zu diesen Werken hat. Ach
ja, und die Künstler sind auf diesem Wahnsinnsmarkt mit seinen
wirtschaftlichen Rationalitäten bis auf ganz wenige Ausnahmen nur
noch Randfiguren.
Pressekontakt:
Weser-Kurier
Produzierender Chefredakteur
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