"DER STANDARD"-Kommentar: "Politische Union oder Absturz"
von Thomas Mayer
Geschrieben am 23-05-2012 |
Europa wird total umgebaut, und Österreichs Regierung schaut
dabei in die Luft - Ausgabe vom 24.5.2012
Wien (ots) - Wenn es ein EU-Mitgliedsland darauf anlegen will,
sein politisches Gewicht bei den Partnern auf ein Minimum zu
reduzieren, muss es genau so vorgehen wie die österreichische
Bundesregierung.
Sie hat es am Tag vor dem EU-Gipfel geschafft, in einer wichtigen
Frage zur künftigen Ausgestaltung der wirtschaftlichen, politischen
und sozialen Zukunft der Gemeinschaft eine total widersprüchliche
Position einzunehmen. Der Kanzler erklärte bei der Anfahrt, dass er
die Konzepte des neuen französischen Präsidenten Francois Hollande
teile, sich für Eurobonds - also gemeinschaftliche
Schuldverschreibungen - ausspreche.
Sein Vizekanzler und die Finanzministerin hingegen legten sich gegen
eine solche Politik fest, weil die "von vorgestern" sei. Das könnte
man als unwichtige Posse aus einem Zwergenland in den Alpen abtun -
einfach als Folge dessen, dass die VP-Minister einer großen Koalition
sich eben an der konservativen Kanzlerin Angela Merkel in Berlin
halten, die Eurobonds als "verfrüht" ansieht, während der Kanzler
(der bisher ganz im Windschatten Merkels agierte) sich nun an seinem
neuen, mächtigen sozialistischen Parteifreund in Paris hält.
Aber so einfach ist es leider nicht. Staatsinteressen fußen auf
vielen Elementen: Kleine Länder haben andere Ziele als große;
Euroländer andere als EU-Mitglieder, die ihre Währung auf- oder
abwerten können; der Norden andere als der Süden usw.
Österreich hat keine Position, kein eigenes Konzept, wie es sich die
Zukunft der Union wünscht. Der Europaauftritt der Regierung erscheint
stümperhaft. Das ist verrückt, weil ein Land mit so hervorragenden
Wirtschafts- wie Sozialdaten und als Mitglied der Eurozone gerade in
der schwersten Krise der Union beste Voraussetzungen hätte,
gestalterisch mitzuspielen, legitime Vorschläge zu machen,
Initiativen zu setzen: nicht aus EU-Idealismus, nein, aus reinem
Eigennutz!
Außerdem ist das unverantwortlich. In den kommenden Wochen könnte
sich entscheiden, ob die EU und die Eurozone als solche überhaupt
überleben wird, wo einzelne Länder dann bleiben. Die Wahlen in
Griechenland Mitte Juni sind dabei nur der Katalysator. Manche
Experten vergleichen die Lage mit der von 1989 und Folgejahren. Sie
brachten nicht nur Umbrüche, sondern auch den Vertrag von Maastricht
mit der Währungsunion. Womit wir bei Hollandes Eurobonds wären. Diese
sind nichts anderes als eine Chiffre für die urfranzösische
Forderung, mit dem Euro auch radikale Schritte hin zur Fiskal- und
Sozialgemeinschaft zu setzen, bis hin zu einer EU-Regierung.
Gemeinschaftliche Verschuldung in einem gemeinsamen Binnenmarkt ohne
Grenzen ist aus Pariser Sicht normal.
Der deutschen Kanzlerin geht das zu schnell. Sie will, dass die wenig
wettbewerbsfähigen Partner zuerst ihre Strukturen reformieren.
Gemeinschaftliche Verschuldung käme am Ende. Aber auch Merkel hat oft
erklärt, dass es eine viel, viel engere Zusammenarbeit geben solle.
Wie man dahin kommt, ist also eine Frage des Prozesses, der
zeitlichen Abfolge.
Berlin und Paris sind sich durchaus einig, dass das finale Ziel der
europäischen Einigung eine echte Union sein könnte, wofür eine
gründliche EU-Vertragsreform, breite Bürgerbeteiligung nötig wäre.
Letztlich reduziert sich das auf die alles entscheidende Frage:
Vertraut man auf ein gemeinsames Europa oder nicht? Nur Wien schaut
bei all dem in die Luft.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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