Börsen-Zeitung: Spielball der Politik, Börsenkommentar "Marktplatz", von Thorsten Kramer.
Geschrieben am 08-06-2012 |
Frankfurt (ots) - An Europas Aktienmärkten sind nun eiserne Nerven
gefragt. Die Verunsicherung der Investoren wächst von Tag zu Tag, und
die Volatilität der Kurse ist entsprechend hoch, weil der Handel fast
ausschließlich von kurzfristigen, spekulativen Investments dominiert
wird. Anleger fürchten den Zusammenbruch der Europäischen
Währungsunion, zudem verstärken eine Reihe von enttäuschenden
Wirtschaftsdaten aus aller Welt die Zweifel am Erholungskurs der
Wirtschaft. Neupositionierungen von langfristig orientierten Akteuren
bleiben deshalb die Ausnahme - obwohl die sehr günstige Bewertung der
Börsen und die hohen Dividendenzahlungen an die Anteilseigner
attraktive Renditechancen versprechen.
Das Geschehen steht im Zeichen der Politik. Nach wie vor ist eine
langfristig tragbare Lösung für die Schuldenkrise in der Eurozone
aber nicht in Sicht. Dies kratzt nachhaltig am Vertrauen der
Investoren. Europas Aktienmärkte geraten dadurch im globalen
Vergleich ins Hintertreffen. Auf Sicht von zwölf Monaten drückte die
zunehmende Risikoaversion den globalen Benchmark-Index MSCI World um
mehr als 9% ins Minus. Europäische Aktien ausgeklammert büßte der
Index hingegen lediglich moderate 2,9% ein. Die Schwäche der Börsen
droht nun eine zusätzliche Belastung für die europäische Konjunktur
zu werden, denn wenn die Depotvermögen der Investoren
zusammenschmelzen, dämpft dies beispielsweise die Lust am privaten
Konsum.
Finanzhilfen für Spanien zur Unterstützung des Bankensektors
können dabei helfen, die Ängste vor Dominoeffekten innerhalb der
Eurozone zu verringern. Es ist allerdings zu befürchten, dass auch
dies lediglich den kurzfristig ausgerichteten Tradern eine Chance
offeriert und die Wirkung ohnehin schnell verpufft, denn mit den
Neuwahlen in Griechenland steht schon das nächste enorm bedeutsame
Ereignis bevor. Gewinnen am 17.Juni die Parteien, die sich an die
Sparzusagen an die europäischen Partner, die Europäische Zentralbank
und den Internationalen Währungsfonds gebunden fühlen, besteht
sicherlich die Chance zu einer Erholungsrally an den Aktienmärkten.
Sollten jedoch die Euro-Skeptiker siegen, dürfte die Angst vor
Dominoeffekten schlagartig wachsen. Den Märkten drohte dann eine
schwere Belastungsprobe. Je nachdem, wie die Politik und die
Notenbanken dann reagieren, ist für diesen Fall selbst ein Einbruch
der Notierungen um 50% nicht auszuschließen, wie jüngst etwa die
Anlagestrategen der Société Générale in einer Analyse vorrechneten.
Mit Blick auf das Gesamtjahr halten die Anlagestrategen der
meisten Banken trotz allem an ihren recht optimistischen
Indexprognosen für Europas Märkte fest - allen voran für den
deutschen Aktienmarkt, der wegen der im Vergleich sehr stabilen
Konjunktur hierzulande den meisten als erste Wahl gilt. Damit die
Kurse wieder nachhaltig auf ein höheres Niveau steigen, muss sich
allerdings das gesamte Stimmungsbild aufhellen. Der überraschende
Zinsschritt der chinesischen Währungshüter vom Donnerstag ist dafür
bereits ein erster Mosaikstein, denn er wird dazu führen, dass die
Konjunktur in dem stark aufstrebenden Land wieder an Dynamik gewinnt
- ein willkommener Impuls für die Weltwirtschaft. Es ist zusätzlich
damit zu rechnen, dass die US-Notenbank Federal Reserve und die EZB
schon in Kürze per Liquiditätsspritze oder per Zinssenkung ebenfalls
dringend benötigte Stimuli für die Konjunktur beschließen werden.
Dies darf allerdings nicht dazu führen, dass die Politik
weiterwurschtelt, anstatt endlich damit zu beginnen, in
internationaler Abstimmung ihre Versäumnisse zu beheben.
Zunächst fokussieren sich Investoren auf den G20-Gipfel am 18. und
19. Juni in Mexiko, um neue Hinweise darauf zu erhalten, ob es wohl
in absehbarer Zeit gelingen mag, Antworten auf die drängenden
Probleme der Staaten und des Bankensektors zu finden. Ende des Monats
richtet sich das Interesse dann auf den nächsten EU-Gipfel. Die
Bundesregierung hat es sich zum Ziel gesetzt, dort Arbeitsaufträge
für eine tiefere Integration zu erteilen, um im Frühjahr 2013 bereits
verbindliche Beschlüsse treffen zu können. Das hört sich
vielversprechend an. Es ist jedoch zu befürchten, dass auch nach dem
Treffen die Vorstellungen über eine europäische Bankenaufsicht, eine
Bankenunion mit gemeinsamem Einlagensicherungsfonds oder eine
Fiskalunion mit eng abgestimmter Haushaltspolitik weiterhin sehr
kontrovers diskutiert werden, nicht zuletzt, weil es dabei um viel
Geld geht. Die Märkte dürften sich deshalb auf absehbare Zeit kaum
beruhigen. Sie werden weiterhin Spielball der Politik sein.
(Börsen-Zeitung, 9.6.2012)
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