Landeszeitung Lüneburg: ,,EU muss periphere Akteure abstoßen" -Interview mit Prof. Herfried Münkler
Geschrieben am 28-06-2012 |
Lüneburg (ots) - 24 Stunden, die die Welt bewegen, laufen gerade
in Brüssel ab. Kann der Euro gerettet werden? Der
Währungsgemeinschaft droht im Streit um eine mögliche gemeinsame
Verschuldung eine Spaltung in nord- und südeuropäische Staaten. Ein
Weg, den Europa trotz aller Kosten ohnehin gehen muss, sagt der
Politikberater Prof. Herfried Münkler von der Berliner
Humboldt-Universität: "Wer Europa retten will, muss es verkleinern."
Eigentlich sollte der Euro der Kitt sein, der Europa zusammenhält.
Nun gefährdet er dessen Zusammenhalt. Büßen wir jetzt für
Geburtsfehler des Euro?
Prof. Dr. Herfried Münkler: Offenbar müssen wir jetzt die
Konsequenz dessen tragen, dass die europäische Integration nicht nach
systematischer Vorgabe, sondern in einer Reihe von Kompromissen
organisiert worden ist. Deshalb gibt es auch nicht den einen Fehler,
sondern eine Kette fortlaufender Fehler. Unter dem Druck der Finanz-
und Wirtschaftskrise haben diese Fehler eine Sprengkraft entwickelt,
der gegenüber die europäische Politik hilflos ist.
Kompromisse, oftmals auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, gelten
geradezu als europäisches Merkmal. Nun ergreift die Krise erstmals
den gesamten Kontinent. Ist Europas Struktur geeignet, diese Krise
abzuwettern?
Prof. Münkler: Zwar charakterisiert es Europa tatsächlich, das
Ergebnis permanenter Kompromisse zu sein. Nachdem die Erinnerung an
den Krieg verblasst ist, hat Europa keine "große Erzählung", sondern
besteht aus kleinen Übereinkünften. Wolfgang Schäuble verwies in
seinem jüngsten Interview darauf, dass Europa schon immer so war. Die
Frage ist jedoch, ob jetzt ein Punkt erreicht ist, an dem dieses
windschiefe, nicht nach den Prinzipien der Statik, sondern nach
Opportunitäten erbaute europäische Haus zusammenbricht. Der Verweis
auf Europas Tradition der Kompromisse ist für mich keine
Versicherung, dass das Gebäude auch zukünftig trägt. Vielmehr hat die
Nachlässigkeit der politischen Eliten höchste Gefahr für Europa
heraufbeschworen. So muss sich der Kontinent nun einer populistischen
Versuchung erwehren. Dabei ist Deutschland erstaunlicherweise ein
Sonderfall: Hier gibt es weder eine links- noch eine
rechtspopulistische Partei mit anti-europäischer Ausrichtung. Doch
sogar in den Niederlanden und Skandinavien stiegen Populisten auf,
die anti-europäische Ressentiments bedienen. Daraus erwuchs für die
Wahlbevölkerung die Versuchung, zu sagen, jetzt reicht es aber mit
den Zumutungen aus Europa. Die Versuchung der politischen Klasse
besteht darin, bei der nächsten Wahl auf die populistische Karte zu
setzen. Das beobachten wir in Griechenland ebenso wie in Italien mit
der angedrohten Rückkehr von Silvio Berlusconi. Im Ergebnis werden
die zentrifugalen Kräfte in Europa so groß, dass man es nur retten
kann, indem man es verkleinert. Das allerdings wird ein mühsamer und
schmerzhafter Prozess.
Wie viel Zwischenkriegszeit des zwanzigsten Jahrhunderts steckt in
der aktuellen Krise?
Prof. Münkler: Austeritätspolitik hat immer polarisierende Effekte
und ist ein klassisches Instrument, um die politische und soziale
Mitte zu zerreiben. So wurde in Deutschland die parlamentarische
Demokratie nach dem "Black Friday" von 1929 zerrieben, und in
Frankreich kam es zu einer verhängnisvollen politischen
Polarisierung. So wird von Frankreich gesagt, es habe 1940 darum
nicht entschlossen Krieg gegen Hitler-Deutschland geführt, weil es im
Innern tief gespalten war. Insofern können die historischen
Erfahrungen als Warnschilder verstanden werden. Nicht übersehen
sollte man aber die erheblichen Unterschiede zwischen damals und
heute. So hat Brüning in Deutschland gespart und gespart, also
reinste Austeritätspolitik durchgesetzt. Das kann man weder von
Griechenland noch von Spanien behaupten, in die von außen permanent
Geld hineingepumpt wird. Der Euro hat diese Länder verleitet, sich
ein Wohlstandsniveau zuzulegen, das sie mit eigener Produktion nicht
erwirtschaften können. Deswegen müssen dort die öffentlichen
Haushalte, durch deren Schulden dieses Wohlstandsniveau finanziert
wurde, zurückgefahren werden.
Ist die Kanzlerin mit ihrem Beharren auf Strukturreformen und
Konsolidierung tatsächlich die gefährlichste Politikerin für Europa,
wie der "New Statesman" behauptete?
Prof. Münkler: Der reichlich oberflächliche Blick von außen lässt
dies so erscheinen. Dem liegt die Ansicht zugrunde, dass Europa über
diese Krise hinwegkommen könnte, wenn Deutschland mehr Geld in die
Schuldnerstaaten pumpen würde. Das unterstellt, dass die deutschen
Bürger bereit sind, sich auf grenzenlose Deckungs- und
Finanzierungszusagen einzulassen. Angela Merkels Kurs ist das
Ergebnis eines klugen Abwägens zwischen den europäischen
Anforderungen und der Bereitschaft der Deutschen, die daraus
entstehenden Lasten mitzutragen. Ich denke, die Kanzlerin hat eine
sehr genaue Vorstellung davon, was sie der deutschen Wirtschaft und
den deutschen Wählern zumuten kann, und was sie an Strukturreformen
in den Partnerländern durchsetzen muss. Der Verzicht auf solche
Strukturreformen im Süden Europas ist keine Option, sondern führt
Europa immer tiefer in die Krise. Die Politik von Merkel ist richtig.
Das Problem ist jedoch die symbolische und kommunikative Vermittlung
ihrer Position bzw. die Verwundbarkeit Deutschlands aufgrund seiner
Geschichte. Das ist der Grund, warum früher viele Projekte Bonns und
Berlins über Paris lanciert wurden, um als europäische Projekte
durchsetzungsfähig zu sein und nicht als deutsches Vormachtstreben
gebrandmarkt zu werden. Das funktioniert seit der Abwahl von Nicolas
Sarkozy nicht mehr. Deshalb ist Merkel im Augenblick so isoliert.
Wie glaubwürdig ist Berlin noch als Sparkommissar, nachdem Merkel
2005 in Brüssel eine Verwässerung des Konsolidierungskurses in
Deutschland durchgesetzt hat?
Prof. Münkler: Das ist eher ein Problem der innenpolitischen
Auseinandersetzung. Die Glaubwürdigkeit Deutschlands in dieser Frage
ist im Ausland nach wie vor hoch -- auch wenn das Land in dem
anhaltenden, überraschenden Boom viel zu wenig gespart hat. Sonst
würde Deutschland nicht trotz bester Wirtschaftsdaten eine weiter
wachsende Verschuldung aufweisen. Die Annahme früherer Zeiten ist
nicht mehr gültig, dass sich Schulden irgendwann von selbst auflösen.
Das Zusammentreffen von Globalisierung und demographischem Wandel
minimiert die Chancen auf größere Wachstumsraten: Weniger
Sozialversicherungszahler infolge abnehmender Bevölkerung und die
Entwertung von Realkapital infolge leer stehenden Wohnraumes sind
Faktoren, die weltweit dafür sorgen, dass diese Krise als so
dramatisch wahrgenommen wird.
Muss sich Deutschland in der Krise auch wandeln, etwa eine
Änderung des Grundgesetzes zulassen, wie Schäuble nahelegte?
Prof. Münkler: Wolfgang Schäuble ist ein schlauer Mann, der sich
überlegt hat, dass die deutsche Verhandlungsposition beim EU-Gipfel
gestärkt wird, wenn man ein deutsches Referendum ins Spiel bringt.
Das zeigt die Vergangenheit: Wer ein Referendum vor der Brust hatte,
konnte in Brüssel mehr eigene Positionen durchsetzen, weil nicht nur
er am Verhandlungstisch saß, sondern auch sein Volk, das ihm bei zu
großer Nachgiebigkeit einen Strich durch die Rechnung machen konnte.
Bisher ging Deutschland am europäischen Verhandlungstisch im
Vergleich zu anderen Ländern viele Kompromisse ein. Mit seinem
Schachzug wollte Schäuble für ein festeres Verhandlungsfundament
sorgen. Mittlerweile würde er seine Äußerung aber gerne wieder
einfangen, da sie sich in der Diskussion verselbstständigt hat. Da
die Grenzen des Grundgesetzes in Richtung europäischer Einigung noch
nicht ausgeschöpft wurden, öffnet der Ruf nach einem Referendum über
Europa das Einfallstor für Populismus. Auf diesem Feld tobt derzeit
ein Konflikt zwischen dem Bundesverfassungsgericht und der Exekutive,
die freie Hand haben will, um besser für Entscheidungen gewappnet zu
sein, die sich an den Öffnungszeiten der Börsen orientieren.
Karlsruhe bremst und erinnert die politische Klasse an die Regeln der
parlamentarischen Demokratie.
Sie benannten als möglichen Ausweg aus der Krise die Verkleinerung
Europas. Wäre nicht auch ein Integrationssprung eine Option?
Prof. Münkler: Ja, wenn wir keine Demokratie in Europa hätten.
Unter den Bedingungen funktionierender Demokratien sehe ich nicht,
woher bei Wahlen oder Referenden die Zustimmung für einen solchen
Schritt kommen sollte. Europa war schon immer ein Elitenprojekt und
ist es im Augenblick verstärkt. Der Takt wird intergouvernemental
vorgegeben, das Europäische Parlament steht hilflos daneben. Die
Deutschen sind noch am ehesten bereit, Kompetenzen an Brüssel
abzugeben; die Franzosen weniger, andere Partner überhaupt nicht. Ist
es ein fataler Treppenwitz der Geschichte, dass der Zwang zur
Integration Europas wächst, während der Zuspruch zum Projekt
dramatisch schwindet? Prof. Münkler: Ich würde beide Begriffe
auseinanderziehen: Es ist sowohl ein Witz als auch eine Fatalität. In
einem Clausewitz'schen Sinne hat Europa bei seinem
Integrationsprozess den Kulminationspunkt des Vorstoßes überschritten
und im Rückraum nicht genug Reserven gebildet. Europa hat sich
integrationspolitisch überdehnt und ist nun von der Wucht des
Rückschlags überrascht. Man hat eine währungspolitische Einheit
hergestellt, die wirtschafts- und verfassungspolitisch nicht
unterbaut war. Die notorische Leichtfertigkeit, ja onkelhafte
Oberflächlichkeit, die die politische Klasse zum Beispiel beim
Euro-Beitritt Griechenlands an den Tag gelegt hat, rächt sich jetzt.
Man glaubte, ein nicht beitrittsfähiges Land, das aber nur 2,5
Prozent der europäischen Wirtschaftskraft ausmacht, könne man
verkraften. Jetzt stellt man fest, dass diese 2,5 Prozent die
Rhythmik des gesamten Euro-Raumes bestimmen -- und ihn anzustecken
drohen, wie es in eigentümlicher Medizin-Metaphorik heißt. Ich bin
eher skeptisch, ob der Euro-Raum Ende des Jahres noch in der
derzeitigen Form bestehen wird.
Beschleunigt die integrationspolitische Überdehnung Europas dessen
relativen Abstieg?
Prof. Münkler: Im Augenblick ja. Das hat sich beim G20-Gipfel in
Mexiko gezeigt: Indien, China, auch die USA beobachten mit Erstaunen,
teilweise mit Entsetzen die europäische Krise, die weltwirtschaftlich
ungeheuer folgenreich ist. Wahrscheinlich ist es angesichts der
Probleme, in die sich Europa hineinmanövriert hat, jetzt klüger, eine
stabilere, belastbarere, auch politisch stärker integrierte Union zu
schaffen. Das heißt, dass wir periphere Akteure abstoßen müssen. Und
das wird teuer. Auf längere Sicht ist die Schlagkraft Europas aber
größer, wenn mehr Elastizität zugelassen wird. Wenn akzeptiert wird,
dass der Süden anders funktioniert als der Norden. Wenn
sichergestellt wird, dass wieder das Zentrum Europas die Rhythmik
bestimmt und nicht die Peripherie. Das Interview führte Joachim
Zießler
Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de
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