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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: EU-Gipfel und die Folgen Skepsis bleibt CARSTEN HEIL

Geschrieben am 29-06-2012

Bielefeld (ots) - Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie, sagte
einst der geistige Vater der Sozialen Marktwirtschaft Ludwig Ehrhard.
Seine politische Enkelin Angela Merkel beruft sich oft auf den
Minister des Wirtschaftsaufschwunges. Die kalte Marktwirtschaft hat
Europa nun in die tiefste Krise seiner politischen Existenz geführt.
Die Gier von Bankern und Bürgern, die mangelnde Bereitschaft,
rechtzeitig gemäßigte Einschnitte vorzunehmen, hat aktuell in einigen
Ländern Europas zur Folge, dass vor allem die kleinen Leute kaum noch
ein und aus wissen. Das Soziale ist längst auf der Strecke geblieben.
Die Fehler der Vergangenheit sind bitter. Wut darüber darf aber nicht
dazu führen, dass die starken Staaten Europas nicht helfen. Nicht nur
aus sozialer Verantwortung oder aus dem Wissen um das Friedenswerk
"Europäische Union" heraus, sondern auch aus nacktem wirtschaftlichen
Eigeninteresse. Denn auch wenn der Nachbar sein Haus selbst
angezündet hat, tut man gut daran, beim Löschen zu helfen, um ein
Übergreifen der Flammen auf den eigenen Besitz zu verhindern. Deshalb
ist Kanzlerin Angela Merkel gestern beim Gipfel, im Vergleich zu
ihren kühnen Äußerungen vorher, zwar umgefallen. Aber sie ist zu
Recht umgefallen und nicht zum ersten Mal und mit Berechnung. Sie
kennt die Psychologie. Vor den Verhandlungen darf man seine
Positionen noch nicht räumen. Es war klar, dass sie ihre
Maximal-Positionen nicht würde durchsetzen können. Das wäre nicht gut
für sie selbst, nicht gut für Deutschland und auch nicht hilfreich
für die Regierungschefs der europäischen Krisenstaaten gewesen. In
der Regierungserklärung gestern Abend hat sich die Kanzlerin zwar
geschickt verkauft, aber sich auch verraten. Sie kam bei ihren
Erläuterungen wiederholt ins Straucheln. Das zeigt die Komplexität
des Themas und der Situation. Wer will das noch wirklich
durchschauen? Immerhin soll es ein Wachstumspaket geben und
wenigstens neun Länder haben sich auf eine Finanztransaktionssteuer
geeinigt. Außerdem soll eine gesamteuropäische Bankenaufsicht
eingerichtet werden. Gut so, aber nur, wenn die mit klaren
Strafmöglichkeiten ausgestattet wird. Da sind Zweifel angebracht. Die
harten Länderempfehlungen für Reformverhalten der Problemstaaten
sollen streng kontrolliert werden. Und mit einem doppelten Veto soll
der Bundestag vor dem Einrichten der Bankenaufsicht und vor direkten
Zahlungen aus dem Rettungsschirm ESM an einzelne Banken eingreifen
können. Da ist jedoch massiv Skepsis angezeigt. Erstens zahlt der
wohlhabendere Europäer (nicht nur die Deutschen!) damit direkt an
jene Banken, die skrupellos die Krise mit herbeigeführt haben und
kaum zu kontrollieren sind. Zweitens gerät der Bundestag, wenn es
soweit sein wird, dermaßen unter Druck, dass eine freie Entscheidung
nicht mehr möglich sein wird. Es sind keine schönen Tage und ob die
Beschlüsse Europa retten, ist längst nicht sicher. Aber sie sind ein
Bekenntnis zu Europa.



Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de


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