BERLINER MORGENPOST: Ein trügerischer Finanzbericht / Leitartikel von Jochim Stoltenberg
Geschrieben am 13-08-2012 |
Berlin (ots) - Auf den ersten Blick gar nicht so schlecht, auf den
zweiten allerdings stellt sich Berlins Haushaltslage unverändert
beunruhigend dar: In seinem Zwischenbericht zum Stand des laufenden
Haushalts lässt Berlins Kassenwart Ulrich Nußbaum zwar verkünden,
dass nach jetzigem Stand ein paar Millionen Euro weniger neue
Schulden - bei einer Gesamthöhe von sage und schreibe 63 Milliarden
Euro - gemacht werden als im Etat vorgesehen. Doch diese eigentlich
hoffnungsvolle Botschaft ist beim genauen Hinsehen doch eine eher
trübe. Denn die Mehreinnahmen zur Minderung der Schuld sind
zusätzlichen Überweisungen seitens des Bundes und den derzeit
niedrigen Zinsen geschuldet. Mit den zusätzlichen Transferleistungen
des Bundes gleicht Berlin vor allem die eigenen Zahlungen für
Sozialleistungen aus. Diese wachsen nämlich weiter an und liegen zur
Jahresmitte mit 163 Millionen Euro über Nußbaums Etatplanung. Berlin
leistet sich unverändert mehr, als es sich erlauben darf. Diese Kluft
zwischen Einnahmen und Ausgaben ist so alarmierend, weil der Senat
doch schon seit Jahren suggeriert, in der Stadt gehe es
wirtschaftlich bergauf, sie boome gar. Wäre es wirklich so, Berlin
stünde dank sprudelnder zusätzlicher Steuereinnahmen weit besser da.
Die Wahrheit ist eine andere. Wenn nicht schon in diesem, dann
spätestens im nächsten Jahr muss Berlin rund eine halbe Milliarde
Euro zusätzlich aufbringen, um den Flughafen Willy Brandt flug- und
passagiertauglich zu machen. Eine Summe, die im Doppeletat 2012/2013
nicht vorgesehen ist. Die unaufschiebbare Sanierung des ICC ist ein
weiteres millionenschweres Risiko, das finanziell nicht abgesichert
ist. Und selbst für die von der Koalition versprochene Einstellung
von zusätzlichen 250 Polizisten ist im Doppelhaushalt kein Geld
vorgesehen. Der Blick ein paar Jahre weiter voraus stimmt nicht
fröhlicher: 2019 läuft der auch Berlin alimentierende Solidarpakt
aus, ab 2020 fordert die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse,
dass sich Ein- und Ausgaben die Waage halten. Berlin kommt also -
diesem vermeintlich Entspannung signalisierenden
Finanz-Zustandsbericht zum Trotz - um strukturelle Einschnitte bei
seinen Ausgaben nicht umhin. Das fängt damit an, dass der Senat die
61,5 Millionen Euro streichen muss, mit denen das Tempelhofer Feld in
eine Parklandschaft umgestylt werden soll. Die braucht keiner, die
will keiner mehr. Zweifel sind angebracht, ob sich Berlin wirklich
drei kostenlose Kita-Jahre leisten kann, was sich nicht einmal
wohlhabendere Länder erlauben. Auf den Prüfstand muss erneut, ob das
klamme Berlin auf Studiengebühren verzichten kann. Berlin war mit dem
mittlerweile verschmähten Thilo Sarrazin auf einem guten
Sanierungskurs. Sein Nachfolger müsste als Unternehmer eigentlich
auch wissen, wie ein tief verschuldeter (Staats-)Betrieb zum Turn
Around geführt wird. Bei Nußbaum ist diese Entschlossenheit zur
finanzpolitischen Wende bislang nicht erkennbar.
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