BERLINER MORGENPOST: Kein Mut zu einer neuen Agenda / Leitartikel von Jochim Stoltenberg
Geschrieben am 15-08-2012 |
Berlin (ots) - Eines werden ihm auch die ärgsten Gegner nicht
absprechen können: Mut hat er gehabt, der Bundeskanzler Gerhard
Schröder. Fälschlicherweise nicht mit seinem Namen, sondern dem
seines Parteifreunds und sozialpolitischen Beraters Peter Hartz ist
eine der größten Arbeitsmarkt- und Sozialreformen der
Nachkriegsgeschichte verbunden. Frei nach Martin Luthers "Hier steh
ich. Ich kann nichts anders" hat Schröder das Reformwerk mit dem Ziel
Überwindung von Wirtschaftsschwäche und Abbau der Arbeitslosigkeit
gegen alle Widerstände durchgesetzt. Die tobten besonders in der
eigenen Partei und den mit der SPD verbandelten Gewerkschaften.
Gerhard Schröder hat dafür einen hohen Preis bezahlt: die
Kanzlerschaft frühzeitig verloren, seine Helfer von einst werden
weiter als "Schröderianer" verfemt, die Gründung der Linkspartei ist
die Antwort der schärfsten Feinde auf die angeblich soziale
Kahlschlagspolitik. Welche Verkennung der Wirkung des Reformwerks bis
zum heutigen Tag. In der Tat haben sich nicht alle mit großem Tamtam
vor zehn Jahren im Französischen Dom am Berliner Gendarmenmarkt
geweckten Erwartungen erfüllt. Aber längst sind sich
Konjunkturforscher und Arbeitsmarktexperten einig, dass Deutschland
trotz der Finanz-, dann der Wirtschafts- und jetzt der Euro-Krise
nicht so vergleichsweise beneidenswert dastünde, hätte Schröder der
Mut verlassen. Das Grundprinzip der Hartz-Gesetze, nämlich
Fördern und Fordern, hat entscheidend dazu beigetragen, die
Zahl der Arbeitslosen nahezu zu halbieren auf jetzt knapp unter drei
Millionen. Und die Liberalisierung der verkrusteten Regelungen auf
dem Arbeitsmarkt hat der Wirtschaft die Flexibilität geschaffen, um
auf dem Weltmarkt zu bestehen. Nicht alle Erwartungen erfüllten sich
- die Ich-AG schuf so wenig einen tragfähigen Gründerboom wie die
Ein-Euro-Jobs den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt. Die
Hartz-Gesetze sind mehr als nur das fast schon verächtliche vierte
Gesetz, das die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe
regelt. Sie führen individuell gewiss zu Härten; insbesondere für
Alleinerziehende mit Kindern, für Arbeitnehmer, denen nach längerem
Erwerbsleben beim Verlust des Jobs Leistungen aus der
Arbeitslosenversicherung beschnitten werden oder im Falle von
Erspartem, das mit Hartz IV verrechnet wird. Da musste zu Recht
einiges nachgebessert werden. Aber auch der Sozialstaat eines
wohlhabenden Landes darf nicht überdehnt werden, soll er den wirklich
Schwachen dauerhaft helfen. Eine Einsicht, aus der die Regierung
Schröder mit den Hartz-Gesetzen überfällige Konsequenzen gezogen hat.
Die Agenda 2010 beweist, dass tiefgreifende Reformen in Deutschland
auch heute noch möglich sind. Vorausgesetzt, die handelnden Personen
haben Mut, Stehvermögen und setzen das Wohlergehen des Landes über
das der Partei. Gerhard Schröder hat die Ernte nicht einfahren
können, weil seine Partei bis heute nicht über den Tag hinausdenken
will. Nachfolgerin Angela Merkel hat das Erbe willig angenommen und
lebt bislang recht gut damit. Doch der Mut, selbst überfällige
Reformen durchzusetzen, geht ihr ab. Im Kanzleramt sitzen zu bleiben
hat für sie Vorrang.
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