Westdeutsche Zeitung: Ständige Erreichbarkeit ist ein Fluch - aber auch ein Segen
E-Mails auf der Sonnenliege
Ein Kommentar von Martin Vogler
Geschrieben am 16-08-2012 |
Düsseldorf (ots) - Wir pendeln zu lange zur Arbeit. Wir führen
stressige Wochenendbeziehungen. Wir arbeiten zu intensiv. Vor allem
arbeiten wir dank der vielfältigen Möglichkeiten der
Kommunikationstechnik immer und überall. Sogar am Wochenende und im
Urlaub sind wir erreichbar. Das macht krank, ist wissenschaftlich
belegt und findet sich in warnenden Studien, die jetzt Hochsaison zu
haben scheinen.
Sicherlich muss man die Probleme ernst nehmen. Wenn in den
vergangenen 18 Jahren die Zahl der psychischen Erkrankungen um 120
Prozent anstieg, ist das ein Warnsignal. Allerdings beinhaltet dieser
Wert auch jene Menschen, die sich früher nicht trauten, sich zu ihren
Problemen zu bekennen. Heute tun das mehr, weil Depressionen weniger
geächtet sind und Burnout - gerne als Synonym für Depression
verwendet - sogar oft positiv besetzt ist: Burnout verbinden viele
mit vorbildlicher Leistungsbereitschaft. Bevor sich folglich
angesichts der gestiegenen Zahl der registrierten Depressionen
Weltuntergangsstimmung breit macht, ist also ein wenig Nachdenken
sinnvoll.
Vieles liegt auch an einem selbst: Man kann sein mobiles Telefon
mal abschalten, man muss nicht auf jede Mail zu jeder Stunde sofort
reagieren. Gerade zeitlicher Abstand relativiert sogar oft die
Bedeutung von angeblich dringenden Fragen.
Selbst der Trend, sogar im Urlaub per Mail erreichbar zu sein und
deshalb angeblich nicht richtig abschalten zu können, hat positive
Seiten: Wer während der Erholungszeit souverän mit seiner
elektronischen Post umgeht, sie vielleicht nur ein- oder zweimal am
Tag abruft, großzügig löscht und möglichst wenig Reaktion zeigt,
kehrt relativ stressfrei an seinen Arbeitsplatz zurück. Wer hingegen
nicht auf der Höhe der aktuellen Entwicklung ist und am ersten
Arbeitstag Tausende ungelesener Mails abarbeiten muss, vernichtet
eventuell seinen Erholungseffekt sehr schnell.
Ständige Erreichbarkeit muss nicht automatisch krank machen. So
lange sie freiwillig gewählt ist und man dabei vernünftige Grenzen
einhält. Vor allem wenn jemand gerne arbeitet und dabei Befriedigung
findet, darf man sie nicht pauschal verteufeln.
Pressekontakt:
Westdeutsche Zeitung
Nachrichtenredaktion
Telefon: 0211/ 8382-2370
redaktion.nachrichten@westdeutsche-zeitung.de
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