Ökosteuer: Weiterführung von Spitzenausgleich "für lau" verstößt gegen EU-Recht
Geschrieben am 23-08-2012 |
Berlin (ots) - Pressemitteilung
So genannte "Effizienzvereinbarung" von Regierung und Industrie
verletzt auch das Demokratieprinzip und widerspricht dem
Energiekonzept der Bundesregierung - Deutsche Umwelthilfe kündigt
Beschwerde bei EU-Kommission an - Steuermindereinnahmen des Bundes in
zweistelliger Milliardenhöhe stehen praktisch keine ökologischen
Gegenleistungen der begünstigten Unternehmen gegenüber
Die Bundesregierung plant ein Steuergeschenk in Höhe von weit mehr
als 20 Milliarden Euro über zehn Jahre für Teile des produzierenden
Gewerbes. Die im engen Schulterschluss mit dem Bundesverband der
Deutschen Industrie (BDI) und dem Bundesverband der Energie- und
Wasserwirtschaft (BDEW) ausgehandelte Weiterführung des so genannten
Spitzenausgleichs ab 2013 wird dabei entgegen öffentlichen
Beteuerungen der Bundesminister Philipp Rösler (FDP) und Peter
Altmaier (CDU) praktisch ohne Gegenleistung gewährt. Darauf hat die
Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) hingewiesen und angekündigt für den
Fall der Verabschiedung der Regelung im Bundestag bei der
EU-Kommission in Brüssel Beschwerde einzureichen.
Die von der Bundesregierung mit BDI und BDEW flankierend
abgeschlossene "Vereinbarung zur Steigerung der Energieeffizienz"
diene einzig dem Zweck, eine nach EU-Recht für die Gewährung von
Steuerentlastungen erforderliche Gegenleistung zu suggerieren und auf
diese Weise, die Zustimmung der EU-Kommission zu erhalten. "Was wir
hier erleben, ist in Wahrheit die unverblümte Fortsetzung der
einseitigen Verschiebung der Lasten von Energiewende und Klimaschutz
auf private Haushalte und Mittelstand zugunsten der Industrie", sagte
die Leiterin Klimaschutz und Energiewende der DUH, Cornelia Ziehm.
Die getroffenen Regelungen und Vereinbarungen widersprechen nach
Überzeugung der DUH auch dem von der Bundesregierung selbst vor zwei
Jahren beschlossenen Energiekonzept. Danach sollten ab 2013 nur
solche Betriebe weiter vom Spitzenausgleich profitieren, die
Energieeinsparungen auch tatsächlich nachweisen. Davon ist keine Rede
mehr.
Die Effizienzvereinbarung, die bis 2022 gelten soll, begründet
darüber hinaus erhebliche Zweifel im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit
mit dem Demokratieprinzip, weil sie im Fall ihres Inkrafttretens den
Handlungsspielraum von mindestens drei nach der Entscheidung
gewählten Parlamenten massiv einschränkt. Vor allem aber verstoßen
die vereinbarten Regelungen gegen das EU-Beihilfe- und
Energiesteuerrecht, das derartige Entlastungen abhängig macht von
realen ökologischen Gegenleistungen.
Die vorgesehenen Regelungen schreiben maximal den langjährigen
Trend der Verbesserung der Energieeffizienz fort und erlegen zudem
den begünstigten Unternehmen - auch dies im Gegensatz zu einem frühen
Regelungsentwurf aus dem Bundesfinanzministerium - keinerlei
individuelle Nachweispflichten über durchgeführte
Effizienzverbesserungen auf. Tatsächlich wird von den begünstigten
Unternehmen nicht einmal verlangt, irgendwelche Maßnahmen zur
Verbesserung der Effizienz real durchzuführen.
Der so genannte Spitzenausgleich "komplettiert" für etwa 23.000
Unternehmen des produzierenden Gewerbes die Entlastung von der
Ökosteuer (s. Hintergrund am Ende dieser PM). Für das Jahr 2013
rechnet die Bundesregierung allein dadurch mit Steuermindereinnahmen
von 2,3 Milliarden Euro. Für die Jahre 2013 und 2014 werden die
begünstigten Unternehmen zu keinerlei realen Fortschritten bei ihrer
Energieintensität verpflichtet. Ebenso wenig die begünstigten
Wirtschaftszweige insgesamt. Für 2015 genügt es, wenn ein Unternehmen
ein Energiemanagementsystem bzw. Energieaudit eingeführt hat (nicht
etwa betreibt) und der begünstigte Wirtschaftszweig insgesamt (etwa
110.000 Unternehmen) einen Zielwert von 1,3 Prozent bei der
Reduzierung der Energieintensität nachweist. Dieser Zielwert
entspricht exakt der nach einer Trendprognose der EU in Deutschland
zu erwartenden Reduktion (business as usual). Zusätzliche
Anstrengungen sind nicht erforderlich (1 Fußnote). 2016 soll der
Zielwert schließlich um 0,05 Prozentpunkte erhöht werden (auf 1,35
%). 2017 wird "evaluiert" und für die Jahre 2019 bis 2022 wurden
keine weiteren Zielwerte vereinbart.
Umweltminister Peter Altmaier, der die Effizienzvereinbarung mit
gezeichnet hat, feiert die Einführung von Energiemanagementsystemen
und Energieaudits wie sein Kollege Philipp Rösler als großen
Fortschritt. Das ist nach Überzeugung der DUH nicht nur deshalb
"irreführend", weil die begünstigten Unternehmen diese Verfahren erst
ab 2016 anwenden müssen und darüber hinaus aufgrund der daraus
gewonnenen Erkenntnisse zu keinerlei Maßnahmen verpflichtet werden.
Es ist vor allem auch bemerkenswert, weil die im Juni 2012
verabschiedete Energieeffizienz-Richtlinie der EU ohnehin
entsprechende Regelungen ab dem Jahr 2015 vorschreibt. Das, was als
freiwillige Sonderleistung dargestellt wird, ergibt sich in
Wirklichkeit bereits aus zwingendem EU-Umweltrecht.
"Für uns ist es ein Rätsel wie ein amtierender Umweltminister mit
federführender Zuständigkeit für den Klimaschutz einer Regelung
zustimmen konnte, die so offensichtlich nicht dem Klimaschutz,
sondern lediglich der kreativen Interpretation der
EU-Beihilferichtlinien dient", sagte Gerd Rosenkranz, der Leiter
Politik und Presse bei der DUH.
Wie bei den Entlastungen großer Teile der Industrie von der
EEG-Umlage, von den Stromdurchleitungsgebühren oder zuletzt bei der
skandalösen Haftungsregelung für Verzögerungen bei der Anbindung von
Offshore-Windparks an das Stromnetz, könnten die bekennenden und
heimlichen Gegner der Energiewende im Regierungslager durch ihre
Politik mit einer "doppelten Dividende" rechnen. Zum einen werde die
im Wahlkampf wichtige Großindustrie gegenüber den Regierungsparteien
friedlich gestimmt. Zum andern könnten die Bremser darauf hoffen,
dass die Energiewende bei denen, die nach dem Willen der Regierung
dafür bezahlen sollen, auf immer weniger Zustimmung stößt.
Rosenkranz: "Wir fordern die Energiewendeanhänger in den
Regierungsparteien auf, die perfide Unsinnsregelung im Bundestag
gemeinsam mit der Opposition zu stoppen."
(1 Fußnote) Im Gegenteil: Wegen des statistischen Effekts des nach
der so genannten Wirkungsgradmethode auf 33 % festgelegten
Wirkungsgrades von Atomkraftwerken (Erneuerbare Energien: 100 %;
moderne Erdgaskraftwerke etwa 60 %) wird die Industrie schon durch
die Abschaltung jedes Atomkraftwerks, dessen Stromerzeugung durch
Elektrizität aus Erneuerbaren Energien, Effizienten Gas- oder neuen
Kohlekraftwerken ersetzt wird, scheinbar "effizienter", was die
Zielerreichung weiter erleichtert. Massiv in dieselbe Richtung wirkt
der erwartete starke Ausbau der Erneuerbaren Energien bis 2022, der
allein einen Großteil der angekündigten Effizienzverbesserungen rein
"statistisch" einlösen wird.
Hintergrund: Der Spitzenausgleich
Im Jahr 1999 wurde die Ökosteuer eingeführt. Einen Teil der
resultierenden Einnahmen überweist der Bund der gesetzlichen
Rentenversicherung. Dadurch sparen die Arbeitgeber
Versicherungsbeiträge. Die für bestimmte Produktionsprozesse
benötigte Energie ist allerdings von vornherein vollständig oder
teilweise von der Ökosteuer befreit. Weil die entsprechenden Betriebe
keine Ökosteuer oder nur einen reduzierten Satz zahlen, aber trotzdem
Rentenbeiträge einsparen, profitieren sie per Saldo von der Ökosteuer
- ohne einen zusätzlichen Umweltnutzen zu erbringen. Es gibt aber
auch Unternehmen, die mehr Ökosteuer zahlen, als sie an
Rentenversicherungsbeiträgen einsparen. Hier greift der so genannte
Spitzenausgleich. Er ist eine Steuerbegünstigung für energieintensive
Nutzer im produzierenden Gewerbe und gekoppelt an die Entwicklung des
Arbeitsgeberanteils an den Rentenversicherungsbeiträgen. Er soll
sicherstellen, dass die Energiesteuerbelastung für die Industrie
nicht wesentlich über der Ermäßigung liegt, die durch die
Verringerung des Arbeitgeberanteils an den
Rentenversicherungsbeiträgen erzielt wird. Konkret werden denjenigen
Betrieben, die den Spitzenausgleich in Anspruch nehmen 90 Prozent der
Differenz zwischen gezahlter Ökosteuer und eingesparten
Rentenversicherungsbeiträgen erstattet. 2012 entspricht das in der
Summe voraussichtlich einem Volumen von 2,3 Milliarden Euro.
Das DUH-Hintergrundpapier finden Sie unter folgendem Link:
http://duh.de/pressemitteilung.html?&tx_ttnews[tt_news]=2907
Pressekontakt:
Dr. Cornelia Ziehm, Leiterin Klimaschutz und Energiewende, Hackescher
Markt 4, 10178 Berlin; Tel.: 030 2400867-0, Mobil: 0160 94182496;
E-Mail: ziehm@duh.de
Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik & Presse, Deutsche Umwelthilfe
e.V., Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel.: 030 2400867-21, Mobil:
0171 5660577, E-Mail: rosenkranz@duh.de
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