BERLINER MORGENPOST: Mehr Führung wagen
Hajo Schumacher fordert von der Regierung mehr Mut zu Unangepasstsein
Geschrieben am 20-10-2012 |
Berlin (ots) - In der Endphase von Rotgrün zeigte sich eine
interessante Zerfallsdynamik. Die Würdenträger der Regierungsparteien
gaben Rettungseifer vor, aber in Wirklichkeit herrschte panisches
Zuwarten. Einsam wie Helmut Kohl 1998 rackerte Gerhard Schröder
damals gegen die Mutlosigkeit eines Teams, das weder kämpfen noch
führen wollte. Sie starrten auf ihn, ohne an ihn zu glauben. Der
künftige Ex-Kanzler hatte die Aura des furchtlosen Anführers verloren
und mithin die Gefolgschaft. Eine ähnliche Duldungsstarre erlebt
Joachim Löw. Der Bundestrainer, zumal umweht von Abschiedsgerüchten
nach der WM 2014, hat Aura eingebüßt, nicht erst nach dem 4:4,
sondern mit der Halbfinalniederlage gegen Italien. Es waren
Borderliner, erst Balotelli, dann Ibrahimovic, die seinen
Musterknaben zeigten, wie Führung funktioniert: durch die Abwesenheit
von Angst. Mag sein, dass die Einwanderer-Vita eine Rolle spielt, die
frühe Erfahrung, dass man sich auf nichts verlassen kann als sich
selbst, der Hunger nach Anerkennung einer eigentlich verachteten
Mehrheitsgesellschaft, der mehr Energie freisetzt als jede Million.
Große Anführer haben oft gebrochene Biografien und komplexe Psychen,
sie balancieren durchaus lustvoll auf dem rasierklingenscharfen Grat
zwischen Absturz und Weltruhm. Solch ein Unangepasster findet sich
weder in der Nationalelf, übrigens genauso wenig in Bundesregierung
oder Wirtschaft - überall nur schrecklich nette Herrschaften.
Deutschland ist justinbieberisiert; Krisensymptom ist unsere Vorliebe
für Mats Hummels oder Philipp Lahm. Erfolgreiche Verteidiger sind
nicht schnuckelig, sondern verbreiten Angst. Allein die Kanzlerin mit
der OstWest-Vita, mit ihrem unkorrumpierbaren Machthunger, mit diesem
explosiven Widerspruch zwischen Verachten des Mittelmaßes und Hunger
nach Zuspruch der Mittelklasse füllt die Rolle des politischen Punks
aus. Preisfrage: Wer würde in der Innenverteidigung wohl rigoroser
abräumen? Angela Merkel oder Holger Badstuber? Dummerweise lassen
sich die Unangepassten nicht züchten, im Gegenteil: tolle
Ausbildungsprogramme mit Medien- und Psychocoaching schon im
Mutterleib fördern den Typus des wohlanständigen Klons, wie man im
deutschen Fußball beobachten kann: die Generation der Mittzwanziger
bildet eine durchgecastete Gruppe erschreckend braver Jüngelchen,
technisch toll ausgebildet, Millionär mit 18, niemals mit
existenziellen Fragen befasst, Meister im Vermeiden von Fehlern, noch
meisterhafter im Darstellen von Zerknirschung, null krisenfest. Die
zentrale Frage unserer Zeit lautet: Wollen wir Führungsfiguren,
perfekt in den Kleinigkeiten des Lebens, fußnotensicher,
vortragshonorarresistent und wutfrei gegen Nervbürger, die aber
leider bei jedem big point eingehen? Oder ist die Gesellschaft
bereit, ein Maß an Schlitzohrigkeit, an Brutalität und Egomanie
zuzulassen, dass das Charisma des Leaders seit jeher ausgezeichnet
hat? Charakterlich-moralische Perfektion und Erfolg wären natürlich
wünschenswert, bilden aber leider manchmal einen Widerspruch, gerade
aufm Platz.
Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
424184
weitere Artikel:
- Sonntag aktuell: Sonntag Aktuell zum Höhenflug der CSU Stuttgart (ots) - Wenn von München aus in die Bundespolitik
eingegriffen wird, treffen die Bayern den Ton nicht. Was die Söders
und Dobrindts loslassen, soll prinzipienfest klingen, ist oft aber
nur populistisch und intellektuell bemitleidenswert. Nur hat das
landespolitisch keinen Einfluss. Und Horst Seehofer ist wendig genug,
letztlich die Kurve zu bekommen, wie soeben in Sachen Europapolitik.
Die Bayern kennen das schon. Dort wird das unter der Rubrik "A Hund
is er scho" abgelegt.
Pressekontakt:
Sonntag aktuell
Joachim mehr...
- Expertenumfrage: Zuschussrente untergräbt Rentenversicherung Berlin (ots) - Die Zuschussrente ist nach Expertenmeinung nicht
das geeignete Mittel, um einer möglichen Altersarmut zu begegnen. Zu
diesem Ergebnis kommt eine Befragung von Wirtschaftswissenschaftlern,
die von der IW Consult, einer Tochtergesellschaft des Instituts der
deutschen Wirtschaft Köln (IW), im Auftrag der Initiative Neue
Soziale Marktwirtschaft (INSM) und der WirtschaftsWoche (WiWo)
durchgeführt wurde.
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen hat vor Kurzem die
Zuschussrente in die politische Debatte eingebracht. mehr...
- LVZ: Heftige Kritik an de Maizières neuestem Vorschlag, den Einheitsfeiertag auch noch zum Veteranentag zu machen / "Falsche konservative Symbolpolitik" Leipzig (ots) - Heftige Kritik hat sich
Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) mit seinem
Vorstoß eingehandelt, den von ihm propagierten Veteranentag für
Bundeswehrsoldaten ausgerechnet am Tag der Deutschen Einheit, den 3.
Oktober, zu begehen. Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher
der SPD-Bundestagsfraktion, sagte der "Leipziger Volkszeitung"
(Montag-Ausgabe): "Am 3. Oktober stehen die Menschen im Mittelpunkt,
die mit friedlichen Mitteln den Sturz einer Diktatur vollbracht haben
und nichts sonst." Der Minister mehr...
- Saarbrücker Zeitung: Regierungskoordinator Leibrecht erwartet neue US-Forderungen bei Wahlsieg Romneys Saarbrücken (ots) - Sollte der Republikaner Mitt Romney neuer
US-Präsident werden, rechnet der Koordinator der Bundesregierung für
die deutsch-amerikanischen Beziehungen, Harald Leibrecht (FDP), mit
neuen US-Forderungen an Deutschland und Europa. Vor dem an diesem
Montagabend (Ortszeit) stattfindenden TV-Finale zwischen Amtsinhaber
Barack Obama und seinem Herausforderer sagte Leibrecht der
"Saarbrücker Zeitung" (Montag): "Ein Präsident Romney dürfte von
Europa und damit auch von Deutschland erwarten, mehr Verantwortung in
der Welt mehr...
- Der Tagesspiegel: SPD-Linke schlägt Kompromiss in Rentendebatte vor Berlin (ots) - Berlin - In der Debatte der SPD über das künftige
Rentenniveau hat der schleswig-holsteinische SPD-Vorsitzende Ralf
Stegner einen Kompromiss vorgeschlagen. "Die SPD sollte bereit sein,
sich an dem messen zu lassen, was sie den Menschen verspricht. Wir
sollten also eine Überprüfungsklausel beschließen", sagte der
Sprecher der Parteilinken im SPD-Vorstand dem in Berlin erscheinenden
Tagesspiegel (Montagausgabe).
Inhaltliche Rückfragen richten Sie bitte an: Der Tagesspiegel,
Newsroom, Telefon: 030-29021-14909.
mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|