BERLINER MORGENPOST: Das Pendel schlägt zurück
Hajo Schumacher über das Fernsehen im Jahr 2013 und überflüssige Sendungen
Geschrieben am 24-03-2013 |
Berlin (ots) - Es gibt Wochen, da keimt tatsächlich so etwas wie
Hoffnung in die Restvernunft der Menschheit. Nein, nicht Zypern,
nicht der Frühling, nicht mal Steinbrück, sondern ein viel
schwierigerer Patient - das deutsche Fernsehen. Die vergangene Woche
begann mit einem unglaublichen Interesse für das Kriegs- und
Nazi-Epos "Unsere Mütter, unsere Väter". Obgleich es keinen aktuellen
Anlass gab, berührte der Dreiteiler im ZDF offenbar ein verschüttetes
Thema in deutschen Familien. Wie oft mögen alte Schwarz-Weiß-Fotos
aus den Schränken gekramt worden sein, wie viel düster-dämonische
Gedanken sind in der vergangenen Woche wohl in diesem Land gedacht
worden. Kein anderes Medium schafft eine solche Wucht wie das
Fernsehen.
Zugleich tobte eine wilde Debatte über einen Auftritt der
Schauspielerin Katja Riemann in einer Vorabendsendung des NDR. Über
eine Million Menschen schauten sich seither auf YouTube noch mal an,
wie ein schrecklich gut gelaunter Moderator ein Meer von Arg- und
Ahnungslosigkeit ausschüttete. Zu Recht ziemlich fassungslos,
schaltete Katja Riemann in den Sturmodus. Und warf damit eine
durchaus bange Frage auf, die sich jeder Journalist beizeiten wieder
stellen sollte: Wie viel fröhlich-unterhaltsames Wegmoderieren ist
mit der Genfer Menschenrechtskonvention eigentlich vereinbar?
Es folgte eine dritte Medienwoge: "Britt", eine Nachmittagsshow
mit Themen aus dem Baukasten menschlicher Abgründe, wird im Sommer
von Sat.1 geschlachtet. Nach zwölf Jahren tapferem Trash-Talk ist die
einst so zuverlässige Quote futsch. Da fügt es sich, dass der
Marktführer RTL zeitgleich in den Keller rauscht. Ob balzwütige
Bauern oder erbärmliche Sangeskunst, Deutschland ist offenbar
durchgecastet. Tränenerstickter Sozialvoyeurismus funktioniert nicht
mehr. Gut so.
Aber was genau ist passiert? Kaum feiert das deutsche Feuilleton
die bizarre Schönheit des Dschungelcamps, kaum haben die
öffentlich-rechtlichen Sender ihre Moderatoren per Negativauslese der
privaten Konkurrenz angepasst, da scheint das Pendel des Schreckens
seinen maximalen Ausschlag erreicht zu haben. Das Maximum schlechter
Qualität ist erreicht, der Trash wird selbst von schlichteren
Zuschauern als solcher identifiziert, die Grenzen der
vorgeschriebenen Reality sind überschritten. Wer wirklich schlimme
Sachen sehen will, der guckt gleich im Internet.
Zugleich hat der Zuschauer in den vergangenen Jahren eine
Bewusstseinserweiterung erfahren. Wir TV-Naivlinge, die mit drei
Programmen und Testbild aufgewachsen sind, wir haben tatsächlich
geglaubt, was die guten Onkels und Tanten da auf dem Bildschirm
erzählt haben. Dann kamen eines Tages Dieter Bohlen und die
Castingshows. Und sehr schnell hat das Publikum verstanden, dass
eigentlich alles, was es zu sehen gibt, einer mehr oder weniger
billigen Inszenierung folgt.
Und jetzt? Wird sich das private Fernsehen grausam neu erfinden,
während der öffentlich-rechtliche Komplex sich im Glanze einiger
Einzelleistungen sonnt. Man sollte Katja Riemann als
Qualitätskontrolleurin durch alle Funkhäuser schicken.
Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de
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