DER STANDARD-Kommentar: "Unausweichlich, aber ein Putsch" von Gudrun Harrer
Geschrieben am 04-07-2013 |
"Das Eingreifen der Armee bewahrte Ägypten laut Opposition vor
dem Kollaps"; Ausgabe vom 5.7.2013
Wien (ots) - Wenn sich ein Friedensnobelpreisträger hinter die
gewaltsame Absetzung eines in halbwegs ordentlichen Wahlen gewählten,
aber glücklosen und von vielen gehassten Präsidenten durch das
Militär stellt, wird dann aus einem normalen Staatsstreich ein guter
Staatsstreich? Erste Reaktionen aus internationalen politischen
Kreisen, denen man keinerlei Sympathie für die ägyptische
Muslimbruderschaft nachsagen kann, waren nach dem Sturz Mohammed
Morsis erstaunlich skeptisch. Ein Putsch ist ein Putsch ist ein
Putsch: Das Eingreifen der Armee war nach Meinung der Opposition
nötig, um Ägypten vor dem Kollaps zu retten, das schützt den Schritt
jedoch nicht automatisch vor Diskussionen über die Rechtmäßigkeit.
Legitimiert kann er nur durch eine zukünftige demokratische
Entwicklung werden. Die einzig "gute"Variante wäre eine Beteiligung
Morsis und der Ikhwan (Brüder), deren Partei im Winter 2011/2012 zur
stärksten Gruppierung gewählt wurde, an einer Kursänderung gewesen:
ihre Zustimmung zu Präsidenten-Neuwahlen. Morsi verweigerte dies, die
Muslimbrüder wählten die andere Variante, nach dem Ultimatum der
Armee in vollem Bewusstsein, was Mittwochabend geschehen würde. Die
1928 gegründete Bruderschaft ist sehr geschichtsbewusst: Ein Putsch
gegen ihre rechtlich legitime Herrschaft macht sich in den Annalen
besser als ein erzwungener Abgang wegen Unfähigkeit. Für die Länder
des Arabischen Frühlings ist das keine gute Nachricht. Der
demokratische Übergangsprozess, der in Tunesien und Libyen ähnlich
aufgesetzt ist (Parlamentswahlen, Verfassungsschreibung etc.), ist in
Ägypten erst einmal gescheitert. Einmal mehr - wie nach der
Revolution 1952, bei der sie mit den Freien Offizieren kooperierte -
wird den Ikhwan nach ihrer eigenen Auffassung die ihnen zukommende
Rolle versagt. Diese Eigensicht hat schon einmal zu einer
Radikalisierung der Bewegung geführt. Die anderen Sektoren der
ägyptischen politischen Szene sind sich dessen bewusst: Fast panisch
klangen die Versicherungen - unter anderem des Interimspräsidenten,
Adly Mansur -, dass die Muslimbrüder weiter ihren Platz im
öffentlichen Leben und in der Politik Ägyptens haben sollen. Die
Anti-Morsi-Bewegung war auch erfolglos, solange sie nur von den
wenigen Säkularen und Liberalen und den schon stärkeren Linken
getragen wurde. Morsi wurde nicht von Gegnern seiner islamistischen
Ideologie zu Fall gebracht, sondern von den sozialen und
wirtschaftlichen Verlierern der Revolution von 2011: ganz normalen
Leuten. Wird Ägypten ohne Morsi besser funktionieren? In einigen
Bereichen ja, wenn Gruppen, die die neue Ordnung verdeckt boykottiert
haben - wie die Polizei, die schon gefährliche eigene Wege zu gehen
begann -, sich wieder einbinden lassen. Das gilt jedoch nur so lange,
als sich gleichzeitig nicht andere Gruppen vom Staat entfernen.
Muslimbrüder sitzen in allen Institutionen, ohne sie geht es nicht.
Die ägyptische Muslimbrüder-Führung hatte nur wenige Freunde in der
Region: Wobei post festum auch festzustellen ist, dass sie sich
außenpolitisch ziemlich pragmatisch verhielt, was allein die
Enttäuschung der Hamas, die weiter im Gazastreifen eingesperrt blieb,
gut illustriert. Israel, das 2011 Hosni Mubarak lautstark
nachtrauerte, bricht jedenfalls heute nicht gleich in Freudentaumel
aus.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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