DER STANDARD-Kommentar: "Feuer am Dach" von Birgit Baumann
Geschrieben am 24-10-2013 |
"Merkels Handy abgehört"; Ausgabe von 25.10.2013
Wien (ots) - Das hätte sich Angela Merkel, als sie noch nicht
deutsche Bundeskanzlerin, sondern Bürgerin der DDR war, nicht im
Traum einfallen lassen: dass jemand am Telefon mithört und es nicht
der Feind (nämlich die Staatssicherheit) ist, sondern der Freund, mit
dem Deutschland doch angeblich so gute Beziehungen pflegt. Man kann
sich die Wut Merkels vorstellen, die sie zum Telefon greifen ließ, um
US-Präsident Barack Obama die Meinung zu sagen. Der versichert ja,
seit der NSA-Skandal im Frühsommer aufkam, die Abhöraktionen dienten
zur Verhinderung von terroristischen Anschlägen. Es ist völlig
abwegig, dass Merkel Derartiges ausheckt. Wer dennoch lauscht, der
greift die Bürger des ganzen Landes an. Sämtliche Beteuerungen, wie
gut das deutsch-amerikanische und überhaupt das transatlantische
Verhältnis sei, sind damit Makulatur. Und es ist auch kein Trost für
Merkel, dass die abgehörten Staatschefs von Brasilien, Dilma
Rousseff, und Mexiko, Felipe Calderón, Merkel jetzt "Willkommen im
Club" zurufen können. Doch Merkels "Handygate" hat noch eine zweite
Seite. Bei aller berechtigten Empörung über die USA muss sich doch
die deutsche Bundeskanzlerin selbst auch einige Vorwürfe gefallen
lassen. Man erinnert sich noch gut, wie locker die deutsche
Bundesregierung die durch Edward Snowden aufgedeckte NSA-Praxis des
mutmaßlich millionenfachen Abhörens in Deutschland gehandhabt hat.
Natürlich, da wurde das für die Geheimdienstkontrolle zuständige
Gremium im Bundestag flugs einberufen, und Innenminister Hans-Peter
Friedrich (CDU) flog eilig in die USA, um dort einmal ordentlich auf
den Tisch zu hauen, was die Amerikaner allerdings weniger
beeindruckte als die Karikaturisten in Deutschland. Doch im August
erklärte die Regierung die Angelegenheit für beendet, nach dem Motto:
"Es ist nix passiert. Und wenn was passiert sein sollte, dann kommt's
nicht mehr vor." Das war ein großer Irrtum, wie sich nun
herausstellt. Die Affäre ist noch nicht ausgestanden, sie hat
vielmehr eine noch viel größere Dimension, als man sich je vorstellen
konnte. Darin liegt aber auch eine Chance. Als es um abstrakte Daten
von möglicherweise Millionen Deutschen ging, da war die Empörung im
Kanzleramt nur mittelmäßig. Jetzt, da sich Merkel persönlich
betroffen fühlt, ist plötzlich Feuer am Dach. Gut, wenn Merkel nicht
nur in ihrem Namen endlich den Druck auf Obama erhöht.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
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