DER STANDARD-KOMMENTAR "Bildung in der Elitefalle " von Sebastian Pumberger
Geschrieben am 11-11-2013 |
Potenzialanalysen verstärken ein Problem: Österreich Schulen
selektieren sozial - Ausgabe vom 12.11.2013
Wien (ots) - Österreich ist ein kreatives Land. Und Österreichs
Politiker sind kreative Wortschöpfer. Studiengebühren heißen dann
Studienbeiträge, die Hauptschule mal Neue Mittelschule. Neuestes
Wortungetüm: Potenzialanalyse statt Aufnahmeverfahren. All diese
Worte sollen Reformeifer in einer Bildungspolitik vermitteln, die
seit Jahren festgefahren ist. In der Regierungsverhandlung soll nun
echte Bewegung erfolgen, sagen die Koalitionäre. Ganz neuer Stil
eben. Die Volkspartei will die Potenziale der Kinder und Jugendlichen
überprüfen und die Ergebnisse für die Schulwahl heranziehen. Dieses
Aufnahmeverfahren soll die Qualität des Gymnasiums erhalten - in
ÖVP-Kreisen heißt das dann Differenzierung. Doch in Wirklichkeit
handelt es sich um eine Elitisierung. Denn die Entscheidung Gymnasium
oder Neue Mittelschule mit zehn Jahren kann den weiteren Lebensweg
maßgeblich beeinflussen.
Für die SPÖ ist ein Aufnahmeverfahren im Gymnasium ein rotes Tuch.
1971 schaffte die Regierung Kreisky als eine der ersten
schulpolitischen Maßnahmen genau jene Prüfungen ab - und führte
kostenlose Schulbücher und Schülerfreifahrt ein. Bildung sollte
leistbar und erreichbar sein - für alle Bevölkerungsteile. Kaum
vorstellbar, dass die Sozialdemokraten nun nach 40 Jahren diesen
Kernwert verlassen.
Wilfried Haslauer - ÖVP-Chefverhandler beim Thema Bildung - will
nicht nur selektieren, wer ins Gymnasium kommt, sondern auch die Zahl
der Gymnasialschüler um ein Drittel reduzieren. Das schafft zwar mehr
Neue Mittelschulen - eine Schulform, die die SPÖ als eine Art
Schmalspurgesamtschule verkauft -, gleichzeitig wird jedoch die
Exklusivität des Gymnasiums verstärkt. Eine gemeinsame Schule der
Zehn- bis 14-Jährigen kann nur funktionieren, wenn es auch wirklich
eine gemeinsame Schule aller Zehn- bis 14-Jährigen ist. Sonst
schreibt man die Zwei-Klassen-Pädagogik der Vergangenheit fort. Das
Problem liegt aber tiefer. Schon das heute gültige System sollte die
Potenziale der Schülerinnen und Schüler abbilden, funktioniert aber
nicht. Aus Angst, das Kind schaffe es nicht ins Gymnasium, werden
Volksschullehrerinnen und Volksschullehrer massiv unter Druck
gesetzt. Die Selektion von Zehnjährigen wird so zum sozialen Stigma.
Die Potenzialanalysen entsprechen ganz dem Leistungsmantra der
Volkspartei: Wer etwas leistet, wird belohnt. Das sollen auch
Kindergarten- und Volksschulkinder früh genug erfahren. Und sie
spiegeln den Trend zur Schubladisierung des Menschen wider.
Bildungsfortschritt als wissenschaftlich messbare Größe verkennt den
Raum, den Kinder und Jugendliche brauchen, um sich entwickeln und
Fehler machen zu können.
Gymnasien wurden in einer Zeit geschaffen, in der klare
gesellschaftliche Strukturen und Hierarchien von den Machthabern
gewünscht wurden. In ihren Bildungskasernen überdauern sie die
Monarchie um beinahe einhundert Jahre. Sie haben ihren Platz
verloren. Die Schaffung von Aufnahmeverfahren zerschneidet die
Bildungslandschaft mehr, als sie durch eine mögliche Aufwertung der
Neuen Mittelschulen geeint wird. Sie sind eine Fortführung der
Klientelpolitik der Volkspartei. Bildung ist aber nicht für die
Einzementierung gesellschaftlicher Ungleichheiten da, sondern für
ihre Überwindung. Das ist das Potenzial, das in den Schulen steckt.
Es bleibt - allen Analysen zum Trotz - bislang ungenützt.
Rückfragehinweis:
Der Standard
Tel.: (01) 531 70 DW 445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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