BERLINER MORGENPOST: Leitartikel: Nur Kleinkram hinter Wortmüll
Hajo Schumacher über den mangelnden Mut, mit einer großen Koalition wirklich Großes anzupacken
Geschrieben am 16-11-2013 |
Berlin (ots) - Die politische Wissenschaft kennt verschiedene
Formen von Koalition. Die "minimale Gewinnkoalition" ist
machtmathematisch getrieben; mit möglichst wenigen Sitzen soll die
Mehrheit gesichert werden. Schwarzgrün wäre eine solche
Konstellation. Gemeinsame Inhalte sind nicht so wichtig, dafür werden
die Partner durch knappe Mehrheiten diszipliniert. In der "minimal
verbundenen Gewinnkoalition" wiederum finden sich Partner, die
weniger durch Überlebens-, als vielmehr durch gesellschaftlichen
Gestaltungswillen zusammenfinden - Rotrotgrün wäre ein solches
Bündnis. Tja, und dann gibt es noch das Modell der übergroßen
Koalition. Weil da keine disziplinierende Knappheit herrscht, sind
alledings permanent Extratouren zu befürchten. Und weil es auch keine
große gemeinsame Richtung gibt, muss Zustimmung erkauft werden, bei
Parlamentariern und bei Ministerpräsidenten. In der deutschen
Konkurrenzdemokratie mit ihren seit vielen Jahrzehnten faszinierend
stabilen Lagern gilt die große Koalition eigentlich als
Notfallbündnis, wenn möglichst große Zustimmung gebraucht wird. Es
gibt aber keine Krise. Zwar wären aufziehende Sorgenfälle wie Rente,
Infrastruktur, Technologierückstand dringend zu behandeln, aber dazu
fehlt kollektiv der Mut aller Beteiligten. So werden derzeit
lediglich mit schwerem Baugerät Krümel bewegt. Die ersten
Arbeitspapiere der Unterhändler verbergen den Kleinkram mit Wortmüll,
so dass Horst Seehofer bereits mahnte, die Schlusspapiere der
Arbeitsgruppen auf weniger als zehn Seiten abzufassen. Nun müssen
konsensuale Weichtexte durch Kürzungen gehärtet werden, weshalb
derzeit unzählige Korrekturfassungen durch die Republik jagen. Eine
straffe Steuerung wäre die Aufgabe von Kanzleramtsminister Ronald
Pofalla, der aber gewohnter Weise davon überfordert ist. So
wiederholt die Kanzlerin den Fehler von 2009, als viel zu lässige
Vereinbarungen den frühen Sprengsatz an das schwarzgelbe Bündnis
gelebt haben. Mit dem Wahlsieg kamen dann Erschöpfung und
Erleichterung gleichermaßen: Nun sollen die anderen erst einmal
machen. Ein akurater Koalitionsvertrag ist die DNA eines
Regierungsbündnisses, ein Konsenskunstwerk, das die Akteure
aufeinander einschwört. Dazu bräuchten Union und SPD allerdings erst
einmal einen Kurs. Auf dieser Koalition liegt kein Segen, sie hat
keinerlei Halt, keinen Geist, kein Ziel. Statt einer gemeinsamen
Vorstellung, wie das Land künftig aussehen soll, gibt es nurmehr
Partikularinteressen: Sigmar Gabriel will Kanzler werden, Angela
Merkel will Mutti bleiben und Horst Seehofer Aufmerksamkeit
erhaschen. Drei Generalsekretäre wollen Minister werden, mächtige
Landesverbände sind zu bedienen. Volk? Zukunft? Richtung? Egal. Der
Mindestlohn und alle weiteren Streitpunkte sind keine Ziele, die aus
Überzeugungen wachsen, sondern Mittel zum Zweck des Machterhalts. Auf
etwa 50 Milliarden Euro beläuft sich die Summe der vereinbarten
Mehrausgaben. Alles, was gemeinsam funktioniert, ist das Raushauen.
Diese Regierung wird nicht gut, aber teuer. Und vorm Aufräumen
drücken sich alle.
Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de
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