Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar
Mitgliederentscheid
Die SPD wagt Demokratie
CARSTEN HEIL
Geschrieben am 13-12-2013 |
Bielefeld (ots) - Endlich macht die SPD mal wieder positive
Furore. Sie diskutiert bis in alle Ortsvereine hinein den
Koalitionsvertrag, und die Mitglieder stimmen geradezu massenweise
über die Regierungsvereinbarung ab. Sogar von einer Eintrittswelle
ist die Rede, selbst wenn die vielleicht nur eine interessengeleitete
Kampagne sein sollte. Und es ist der Parteiführung gelungen, dass in
erster Linie sachlich argumentiert und vielleicht im besten Sinne
gestritten wird. Erst ganz nach der Mitgliederabstimmung wurden
gestern Abend die Ministerposten bekannt. Demokratie pur. Besser
konnte es für den Vorsitzenden Sigmar Gabriel nicht laufen. Die SPD
wagt Demokratie. Alle 474.820 Mitglieder konnten sich beteiligen, 1,6
Millionen Euro kostet die Partei das Projekt, Anfeindungen hat es
auch gegeben. Wichtig ist die politische Anstrengung, das Denken und
Argumentieren. Deshalb wird die SPD dabei gewinnen, selbst wenn das
Ergebnis der Befragung anders ausfallen sollte, als es sich die
Parteiführung wünscht. Wenn die Mehrheit der teilnehmenden Mitglieder
den mit der Union ausgehandelten Koalitionsvertrag ablehnen sollte -
wofür nicht sehr viel spricht -, wäre das ein Misstrauensvotum gegen
die Parteispitze. "Ihr habt alles falsch gemacht" wäre die Botschaft
der Basis. Auch das ist Demokratie. Gabriel und der Rest des
Vorstandes müssten zurücktreten. Die Partei kann sich bei der
Mitgliederbefragung auf Willy Brandt berufen als einen der großen
Überväter der deutschen Sozialdemokratie im 20. Jahrhundert, der
nächste Woche 100 Jahre alt geworden wäre. Wir wollen mehr Demokratie
wagen, hatte der in seiner Regierungserklärung 1969 gesagt. Das
Wagnis von Demokratie ist aber immer, dass Menschen scheitern können,
abgelehnt werden, andere Vorstellungen sich durchsetzen oder dass
nicht der ideale Kandidat gewählt wird. Die Grünen können ein Lied
davon singen. Ihre Urwahl der Spitzenkandidaten vor der
Bundestagswahl hat nicht dazu geführt, dass sie erfolgreich waren.
Auch die SPD hatte bei Kandidatenwahlen schon Pech. 1994 hatte sich
Rudolf Scharping im Ringen um die Spitzenkandidatur durchgesetzt und
verlor gegen Helmut Kohl. Dazu kommt, dass plebiszitäre Elemente
nicht immer wirklich basisdemokratisch sind. Wenn schon bei der
Bundestagswahl nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen
abstimmen, die unteren Schichten sind zum Beispiel deutlich
unterrepräsentiert, ist das bei Parteien nicht anders. Es beteiligt
sich bei der aktuellen Abstimmung der SPD nur ein extrem
eingeschränktes Gesellschaftsprofil. Basisdemokratie macht also
Furore, aber nicht unbedingt das beste Ergebnis und darf nicht als
Wille des Volkes missinterpretiert werden. Interessengruppen bleiben
Interessengruppen. Parteien sind nichts anderes als
Interessengruppen. Gleichwohl hat der SPD-Vorsitzende Gabriel recht,
wenn er erklärt, dass immerhin mehr Menschen beteiligt waren als bei
der Union. Die hat schon ihr Wahlprogramm nicht breit diskutiert und
nicht mal einem Parteitag vorgelegt. Genauso in kleiner Runde wurde
nach der Wahl der Vertrag abgenickt. Der Erfolg der SPD, dass über
sie gesprochen wurde, dass es Eintritte gab, dass sie Politik wieder
auf den Marktplatz gebracht hat, wird dazu führen, dass auch andere
Parteien folgen. Schon diskutiert die Union über Ähnliches. Es wird
mehr Basisdemokratie geben in Deutschland, aber bessere
Politikergebnisse werden nicht automatisch die Folge sein.
carsten.heil@ ⋌ihr-kommentar.de ⋌Bericht Titelseite
Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
502450
weitere Artikel:
- Neue OZ: Kommentar zu Prozesse / Affären / Glaeseker Osnabrück (ots) - Schwierige Rolle
Es klingt paradox, aber es könnte tatsächlich so eintreten: Der
eigene Prozess wegen Vorteilsnahme ist für den ehemaligen
Bundespräsidenten Christian Wulff womöglich leichter zu bewältigen
als die parallel laufende Verhandlung gegen seinen früheren Sprecher
Olaf Glaeseker.
Im eigenen Verfahren sind die Vorwürfe der Anklage bislang in
keiner Weise erhärtet worden, eher im Gegenteil. Dies hat
Spekulationen genährt, dass die Richter bei der Zwischenbilanz in der
nächsten Woche so etwas wie mehr...
- Neue OZ: Kommentar zu Rente Osnabrück (ots) - Zu spät aufgewacht
Das Erwachen der um ihre Finanzen besorgten Landespolitiker kommt
zu spät. Aus dem Munde des Grünen-Ministerpräsidenten Kretschmann
klingt die Empörung über die Rentenpläne von Union und SPD zwar noch
glaubhaft. NRW-Finanzminister Walter-Borjans hätte seine
SPD-Parteifreunde aber früher als einen Tag vor Bekanntgabe des
Mitgliedervotums vor den Plänen einer Rückkehr zur Rente mit 63 für
langjährig Versicherte warnen müssen.
Sein Hinweis, dass eine Gleichstellung von Staatsdienern mit mehr...
- Neue OZ: Kommentar zu Parteien / Koalition / SPD Osnabrück (ots) - Die Dominanz der SPD
Wieder einmal hat der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel bewiesen, was
er für ein politischer Fuchs ist. Indem die Sozialdemokraten ihre
Ministernamen schon jetzt haben durchsickern lassen, dominieren sie
die finale Phase der Regierungsbildung zu Beginn des Wochenendes und
an dessen Ende. Jetzt die Kabinettsliste, später das Ergebnis des
Mitgliederentscheids: Dass in diesen Tagen auch noch ein paar
Unionsminister und damit Vertreter des haushohen Wahlsiegers Ämter
zugeschlagen bekommen, geht mehr...
- Neue OZ: Kommentar zu Nordkorea / Innenpolitik Osnabrück (ots) - Er hatte zu viel Macht
So viel Offenheit ist selten im abgeschotteten Nordkorea. Auch
offiziell hat nun das Staatsfernsehen die seit Tagen bekannte
Hinrichtung von Jang Song Thaek verkündet. Der 67-Jährige war zuvor
in Militär, Regierung und kommunistischer Partei bestens vernetzt und
besaß gute Kontakte zu China. Wahrscheinlich ließ Diktator Kim Jong
Un seinen Onkel beseitigen, weil ihm dieser mit seinem großen
Einfluss als hochgefährlicher Konkurrent erschien.
Wie die Entmachtung Jangs ablief und wie das mehr...
- Westfalenpost: Westfalenpost zur Sterbehilfe für Minderjährige Hagen (ots) - Die Debatte über eine mögliche Sterbehilfe für
Minderjährige rückt in einen neuen Grenzbereich vor, über den sich
wohl die meisten von uns bislang gar keine Gedanken gemacht haben.
Gottlob wohl nicht machen mussten. Spätestens mit dem jetzt in
Belgien auf den Weg gebrachten Gesetzentwurf ist aber ein
entsprechend notwendiges Nachdenken in der Welt. Mit der
neuen Regelung stellt sich Belgien einmal mehr an die Speerspitze
eines vermeintlichen Fortschritts der Zivilisation, der in Wahrheit
jedoch ein infamer Angriff mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|