Badische Zeitung: SPD-Mitgliederentscheid und Regierungsbildung / Ehrgeiz und Macht
Leitartikel von Thomas Hauser
Geschrieben am 15-12-2013 |
Freiburg (ots) - Projekte machen Personen. Dass man in der Politik
binnen weniger Wochen vom Wackelkandidaten zum unangefochtenen
Hoffnungsträger werden kann, Siegmar Gabriel ist der Beweis. Der
SPD-Vorsitzende hat seine Partei souverän durch die Verhandlungen mit
der Union geführt und sich den Koalitionsvertrag - gegen
Anfeindungen und Unkenrufe - von den Mitgliedern seiner Partei
bestätigen lassen. Der herausragende Erfolg dieses riskanten und
bislang einzigartigen Aktes von innerparteilicher Teilhabe wird nicht
nur Maßstäbe setzen und Begehrlichkeiten bei der politischen
Konkurrenz wecken. Er macht Gabriel zum alleinigen starken Mann
in seiner Partei und lässt ihn und seine SPD mit breiter Brust ins
Kabinett einrücken. Dort gilt bei vielen Ministerien: Personen
machen Projekte. Gabriel zum Beispiel will als Minister für
Wirtschaft und Energie die Energiewende zum Erfolg führen. Gelingt
ihm das, würde er nebenbei auch jene Wirtschaftskompetenz
nachweisen, an der es den Genossen in den Augen vieler Wähler bislang
mangelt. Doch Gabriel spielt dabei erneut auf Risiko. Wer die
Verantwortung für das umstrittenste und komplexeste Vorhaben
neben der Eurorettung übernimmt, kann scheitern oder sich für höhere
Aufgaben empfehlen. Nach denen strebt auch Ursula von der Leyen. Nur
ist ihr Projekt sie selbst. Hier gilt also das Prinzip Personen
machen Personen. Ihr Arbeits- und Sozialministerium wurde von der
SPD als Kernkompetenz reklamiert und mit einer von neuem Ehrgeiz
beseelten Andrea Nahles besetzt. Da aber eine Rückkehr ins
Gesundheitsministerium einem Karriereknick gleichgekommen wäre,
drängt die Niedersächsin nun als erste Frau an die Spitze des
Verteidigungsressorts. Dass die Kanzlerin die eigensinnige
Konkurrentin gewähren ließ, mag damit zusammenhängen, dass alle
Vorgänger von der Leyens dort gescheitert sind. Genau diese
Herausforderung aber wird Ursula von der Leyen gereizt haben. Wenn
es ihr gelingt, diese Männerbastion zu bändigen, dürfte kaum jemand
in der Partei ihr die Merkel-Nachfolge noch streitig machen. Aber das
Risiko, das sie geht, ist enorm. Und welchem Prinzip folgt die CSU?
Im neuen Bundeskabinett ist die Partei, die so maßgeblich zum
Wahlerfolg der Union beigetragen hat, eindeutig die Verliererin. Das
kann man eigentlich nur so interpretieren, dass Horst Seehofer egal
war, wer im Kabinett sitzt und was er dort macht. Zu befürchten ist
deshalb, dass er - beflügelt vom Maut-Erfolg - nach dem Motto
agiert: Wenn es Ernst wird, entscheide ohnehin ich, wohin die Reise
dieser Regierung geht. Und, ach ja, die Kanzlerin. Dass ihr während
der Koalitionsverhandlungen ein Projekt besonders am Herz gelegen
hätte, ist nicht bekannt. Auch lässt die Liste der CDU-Ministerien,
mit Ausnahme vielleicht der Pflege, nichts erkennen, was auf eine
besondere Handschrift der CDU in dieser Großen Koalition schließen
lassen könnte. Angela Merkel lässt ihre Partner sich auch weiterhin
an den schwierigen Themen abarbeiten, kontrolliert und setzt darauf,
dass Wolfgang Schäuble die Dinge regeln wird. Der sitzt nämlich als
Bundesfinanzminister nicht nur in Sachen Euro im Zentrum des
Regierungsnetzes. Ob er den Daumen hebt oder senkt, wird darüber
entscheiden, ob der ehrgeizige Gestaltungswille vor allem der
sozialdemokratischen Minister befördert oder ausgebremst wird. Die
aber stehen nach dem überwältigenden Vertrauensbeweis der Basis nun
unter einem besonderen Erfolgsdruck. Denn die SPD-Mitglieder haben
mit ihrem Ja zum Koalitionsvertrag auch die Erwartungshaltung
verknüpft, dass diese Regierung vom Verwaltungs- und Krisenmanagement
umschaltet in eine aktive politische Gestaltung. Gelingt dies nicht,
könnte die Euphorie der Mitgliederentscheidung nur die Fallhöhe
angehoben haben für einen noch tieferen Absturz.
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