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DER STANDARD-Kommentar "Das Kind beim Namen nennen" von Lisa Mayr

Geschrieben am 17-12-2013

Der aktuellen Familienpolitik fehlt ein ihr zugrunde liegender
Gesellschaftsentwurf

Wien (ots) - Familienpolitik sei eine "weiche Materie", heißt es
oft. Man assoziiert Wohlfühlen, Wahlzuckerln, freundliche Mienen. Wer
beteuert, Familien stärken zu wollen, kann politisch wenig falsch
machen. Denn das Bekenntnis ist so schwammig, dass man kaum etwas
dagegen vorbringen kann - außer der Kritik, dass das Bekenntnis so
schwammig ist. Genau das ist aktuell notwendig. Denn im neuen
Regierungsprogramm fehlen familienpolitische Visionen völlig - an
ihrer Stelle tummeln sich dort Vagheiten aller Art. Es fehlt etwa
eine begriffliche Übereinkunft, wer überhaupt Familie ist, wen
Familienpolitik also einschließen soll. Vater, Mutter, Kind? Die
sogenannte Kern?familie mit zwei leiblichen Eltern?
Patchworkfamilien? Gleichgeschlechtliche Partnerinnen und Partner,
die ein Stiefkind adoptieren? Darüber sagt das Regierungsprogramm
genau nichts. Dass durchgehend von "Eltern" und kein einziges Mal von
"Erziehungsberechtigten" die Rede ist, könnte ein Hinweis sein.
Könnte. SPÖ und ÖVP waren in der Frage, was eine Familie ist, in der
Vergangenheit bekanntlich schon nicht handelseins - es kann also
nicht erstaunen, dass das Regierungsprogramm hier schwammig bleibt.
Ein Problem ist es trotzdem. Denn Familienpolitik ist das Gegenteil
einer weichen Materie: In kaum einem Politikfeld werden derart harte
Fakten geschaffen. Es geht schließlich um nichts weniger als die
Frage, wie Frauen und Männer mit Kindern ihr Leben gestalten können.
Familienpolitik muss wissen, welche gesellschaftliche Vision sie
verwirklichen will, sie braucht ein Bild davon, wie die Lasten
zwischen Frauen und Männern verteilt werden sollen. Sie muss wissen,
welche Gesellschaft sie anstrebt. Sonst wird sie im schlimmsten Fall
zur Anhäufung widersprüchlicher Maßnahmen und Gesetze. Neben der
Nichtdefinition von Familie schweigt das Regierungsprogramm beredt
zur Frage, was eigentlich das Ziel familienpolitischer Maßnahmen sein
soll. Geht es darum, wie die Betreuungspflichten zwischen Männern und
Frauen gleich aufgeteilt werden können? Das wäre der Ansatz der
Familienpolitik skandinavischen Zuschnitts. Im Regierungsprogramm
angekündigt sind lediglich "öffentlichkeitswirksame Maßnahmen zur
Förderung der Beteiligung der Väter an der Erziehungsarbeit". Das
klingt eher nach Appellen an den väterlichen Goodwill mittels
herziger Plakatkampagnen - nicht nach echter Gleichstellungspolitik,
die gegen Gehaltsschere und gläserne Decke wirkt und die bezahlte und
unbezahlte Arbeit zwischen Männern und Frauen gerecht aufteilt. Oder
geht es der Familienpolitik im Kern darum, die Zahl der Kinder zu
steigern? Das wäre der zentrale Ansatz der französischen
Familienpolitik. Die Kinderzahl pro Frau grundelt hierzulande bei 1,4
dahin. Jeder fünfte Haushalt mit mehreren Kindern ist von Armut
bedroht, bei den Alleinerziehenden ist es mehr als ein Drittel. Die
bisher eingeführten Steuerabsetzbeträge für Familien nützen
Geringverdienern wenig - sie sind kein breitenwirksames
Steuerungsinstrument für mehr Nachwuchs. Die Familienbeihilfe wurde
seit 2003 weder inflationsangepasst noch erhöht. Zumindest das soll
sich ab Juli 2014 ändern. Immerhin. Doch das grundsätzliche Manko
bleibt: Der Familienpolitik fehlt der dahinterliegende
Gesellschaftsentwurf. Damit läuft sie Gefahr, zur Klientelpolitik zu
verkommen.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

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