Badische Zeitung: Zwischenbilanz im Wulff-Prozess / Die Wahrheit des Richters
Leitartikel von Thomas Fricker
Geschrieben am 19-12-2013 |
Freiburg (ots) - Ist das nun eine Sensation oder bloß das
Eingeständnis, der Republik ein überflüssiges Justizspektakel
zugemutet zu haben? Dass der Richter inmitten eines historischen
Verfahrens - dem ersten Strafprozess gegen einen ehemaligen
Bundespräsidenten überhaupt -, die dem Angeklagten zur Last gelegten
Vorwürfe für nicht justiziabel erklärt, dürfte in der deutschen
Rechtsgeschichte einzigartig sein und bleiben. Ähnlich einzigartig
ist aber auch die Reaktion auf diesen Vorgang. Statt ungläubiges
Staunen hat Richter Frank Rosenow vielerorts nur Achselzucken
geerntet. Hat man nicht ohnehin geahnt, dass an der Anklage gegen
Christian Wulff wegen Korruptionsvorwürfen nichts dran war? Schwamm
drüber! Tatsächlich haben die bisherigen Verhandlungstage vor dem
Landgericht Hannover die ganze Armseligkeit der juristischen
Aufarbeitung des Falles offengelegt. Monatelang hatten die
Ermittler noch den letzten Winkel im öffentlichen und privaten Leben
des Christian Wulff ausgeleuchtet. Von einer vermeintlich endlosen
Zahl schwerer Verfehlungen blieb am Schluss eine (!) Einladung aufs
Oktoberfest inklusive Zimmer-Upgrade und Babysitter übrig, welche
die Staatsanwaltschaft als Fall von Bestechlichkeit verstehen mochte
und die das Gericht immerhin als mögliche Vorteilsannahme zur
Hauptverhandlung zuließ. Eine Verhandlung, die fortan geführt wurde,
als ginge es um ein Kapitalverbrechen - und deren absurde
Unverhältnismäßigkeit mit jeder Zeugenaussage offenkundiger wurde.
Es spricht nicht für die Einsichtsfähigkeit der Staatsanwälte, dass
sie nach der für sie vernichtenden Zwischenbilanz auf ihrer Position
beharrten. Indes erweckten die Ermittler immer den Eindruck, sich
hauptsächlich als Vollstrecker eines Urteils zu begreifen, das die
Öffentlichkeit bereits vor zwei Jahren gefällt hatte. Seinerzeit
hatte sich das Staatsoberhaupt als Fehlbesetzung im Schloss
Bellevue erwiesen. Ein Bundespräsident wirkt durch sein Wort und sein
Vorbild. Die Finanzprobleme eines biederen Provinzpolitikers mit Hang
zu Glamour, der mit Halbwahrheiten um sich wirft, peinliche Anrufe
tätigt und weinerliche Verteidigungsreden im Fernsehen hält, hätten
dessen Amtsführung dauerhaft beschädigt. Der Rücktritt war insofern
folgerichtig, die Einleitung der Ermittlungen gegen Wulff nur
Anlass, nicht Ursache dessen Sturzes. Nicht angemessen waren indes
schon damals der Furor, die Empörung und die Häme, die Wulffs
politischen Niedergang begleiteten. Im Rückblick wirkt der Umgang mit
der Affäre wie ein Lehrstück über die Auswüchse einer enthemmten
Medienwelt. Journalisten spürten selbst dem Bobbycar von Wulff
junior hinterher - und das Publikum saugte jedes Kinkerlitzchen
lustvoll auf. Wenig später entdeckten die gleichen Blätter, die
Wulffs moralisch erledigen wollten, den Ex-Präsidenten als Opfer neu.
Nun war schick, wer sich selbstkritisch geißelte. Eine Heuchelei auch
das. Und auch sie fand - und findet - ihre Abnehmer. Derweil landete
der Ex-Präsident vor Gericht. Wulff hatte - wohl aus Gründen der
Selbstachtung - einen Strafbefehl über 20000 Euro wegen der
strittigen Einladung im Wert von 719 Euro nicht akzeptiert. Die Frage
ist, ob dem Angeklagten Wulff der Vorschlag des Richters wirklich
nützt, den Prozess einzustellen, womöglich gegen Auflagen.Wer so
tief gefallen ist wie der Niedersachse, für den kommt eigentlich nur
ein lupenreiner Freispruch in Frage, will er seine persönliche Ehre
verteidigen. Nur ein echter Freispruch böte Wulff außerdem die
Chance, sich als Figur der Zeitgeschichte wenigstens halbwegs zu
rehabilitieren. So gesehen ziehen Staatsanwaltschaft und Wulffs
Verteidiger ausnahmsweise am selben Strang, wenn sie beide die
Fortsetzung des Verfahrens verlangen - wenngleich aus ganz
unterschiedlichen Gründen.
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