DER STANDARD-Kommentar "Sozialdemokratisches Unbehagen" von Conrad Seidl
Geschrieben am 29-12-2013 |
Nach ihren großen historischen Erfolgen traut sich die SPÖ
keine Visionen mehr zu (Ausgabe vom 30. 12. 2013)
Wien (ots) - Vielleicht ist die Sozialdemokratie einfach zu
erfolgreich. Franz Vranitzky, damals frisch gewählter Vorsitzender
der Partei, die damals noch "Sozialistische Partei Österreichs" hieß,
hat die Vermutung 1988, beim 100. Geburtstag der SPÖ, anklingen
lassen: "Hundert Jahre politischer Arbeit haben uns ernüchtert",
sagte Vranitzky auf dem Parteitag, und: "Trotz oder vielleicht gerade
wegen der Erfolge, die unsere Bewegung erkämpft und erarbeitet hat,
fühlen manche von uns Unbehagen, Verdrossenheit oder Irritation."
Vor 25 Jahren überwand die SPÖ diese Verdrossenheit noch einmal.
Sie gestaltete in den Simmeringer Gasometern eine pompöse Ausstellung
mit dem Titel Die ersten 100 Jahre. - Die damals 43,12 Prozent starke
Kanzlerpartei hatte keinen Zweifel, dass noch weitere Jahrhunderte
folgen würden, in denen die sozialistische Handschrift die
österreichische Politik prägen würde.
Gemessen an dem, was die Genossen 1888 beim von Victor Adler
organisierten Einigungsparteitag im niederösterreichischen Hainfeld
erträumt hatten, war die SPÖ tatsächlich höchst erfolgreich gewesen:
Das allgemeine Wahlrecht war erstritten worden, der freie Zugang zur
Bildung eingeführt, die Gleichstellung der Frauen zumindest auf dem
Papier festgehalten. Und das alles in Verbindung mit einem
materiellen Fortschritt von historischer Dimension: Das Elend der
Arbeiterklasse war in den ersten 100 Jahren der Sozialdemokratie
weitgehend beseitigt worden.
Die weitgehende Durchsetzung ihrer Interessen hat aber
gleichzeitig die Arbeiterklasse als solche verschwinden lassen - die
Anhänger der SPÖ haben sich nach und nach verlaufen, die jüngste Wahl
hat den Sozialdemokraten zwar noch einmal die Kanzlerschaft,
insgesamt mit 26,82 Prozent aber das schlechteste Wahlergebnis ihrer
Geschichte gebracht.
Weit und breit ist nichts von einer
klassenbewussten_Arbeiterschaft zu sehen; rot wählt man allenfalls
aus Tradition, vielfach aber auch einfach aus dem Interesse, dass
sich möglichst wenig zum Schlechteren verändern möge. Visionen von
einer Gesellschaft der Zukunft, geprägt von Solidarität und
Gerechtigkeit? Fehlanzeige. Die sozialdemokratischen Politiker sagen
zwar immer noch bei jeder Gelegenheit, dass sie für dieses oder jenes
Anliegen "kämpfen", aber in Wirklichkeit weiß jeder, dass die Zeit
des Kampfes vorbei ist. Erfolge werden in mühsamen Sitzungen
ausgehandelt. Das eignet sich nicht, um Massen zu mobilisieren,
potenzielle Wähler zu begeistern, Parteimitglieder zu
emotionalisieren. Es sind ja auch, verglichen mit den
gesellschaftlichen Fortschritten früherer Jahrzehnte, viel
bescheidenere Verbesserungen, die da erzielt werden können. Kleine
Erfolge in einer an Visionen armen Zeit.
Wobei es durchaus noch Bedarf für eine sozialistische Politik
gibt: Am Rand der Gesellschaft gibt es neue Armut. In den
Schattenbereichen des sozial- und arbeitsrechtlich geregelten
Wirtschaftslebens treibt die Ausbeutung bizarre Blüten. Und die
Entrechteten unserer Zeit haben fremdländisches Aussehen,
fremdländische Namen, fremdländische Pässe. Sie sind also keine
potenziellen Wähler.
Ihnen müsste die ganze Aufmerksamkeit der SPÖ gehören. Aber das
würde die verbliebenen Traditionswähler verschrecken. Daher hat die
SPÖ wenig herzuzeigen. Dort, wo sie ihre 100-Jahr-Ausstellung hatte,
ist heute ein Einkaufszentrum.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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